Türchen Nr. 1

  • Türchen Nr. 1

    So.....Willkommen zum Adventskalender 2012! Heute ist der 1.Dezember, darum gibt es heute das erste von 24 Türchen für euch.Es ist ein Gemeinschaftsprojekt von Akirai und Kartoffel. Wir wünschen euch allen viel Spaß!

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    Für das erste Türchen im Adventskalender haben Kartoffel und
    ich uns im DC-Universum umgesehen und folgende Geschichte für euch
    gefunden: Eisenherz. Der Weihnachtssong dazu stammt von Kartoffel, die
    Geschichte dahinter von Akirai.
    Wir beide wünschen euch viel Spaß und einen schönen ersten Dezember!


    So.....Willkommen zum Adventskalender 2012! Heute ist der 1.Dezember, darum gibt es heute das erste von 24 Türchen für euch.Es ist ein Gemeinschaftsprojekt von Akirai und Kartoffel. Wir wünschen euch allen viel Spaß!

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    Für das erste Türchen im Adventskalender haben Kartoffel und
    ich uns im DC-Universum umgesehen und folgende Geschichte für euch
    gefunden: Eisenherz. Der Weihnachtssong dazu stammt von Kartoffel, die
    Geschichte dahinter von Akirai.
    Wir beide wünschen euch viel Spaß und einen schönen ersten Dezember!

    Den Link zum Weihnachtssong findet ihr hier: http://soundcloud.com/thesufferandthewitness/please-come-home-for-1


    Eisenherz

    Es war eine kalter Morgen.

    Der Luft war klirrend klar, die Sonne stemmte sich mühevoll über die Dächer von Tokyo, die wie steinerne Götzenbilder himmelwärts ragten. Ein blutiges Schauspiel malte das goldene Himmelslicht an den Horizont, ein intensives Rot, leuchtendes Gold, gepaart mit dem nächtlichen Schwarz. Nur die wenigsten Menschen sahen diesen Sonnenaufgang, oder wenn sie ihn sahen, so registrierten sie ihn nicht. Bald hatten sich alle Nachtschattenfetzen verzogen und Sonnenstrahlen krochen bis in die hintersten Winkel der Stadt. Doch selbst an diesem Morgen gab es Menschen, die von diesem Licht nicht gefunden werden wollten. Die Sonne brachte keine Wärme, sie brachte nur Kälte, klirrendes Eis und einen launigen Wind.

    Es war ein kalter Morgen. Es wurde ein kalter Tag. Der Atem der vorbeieilenden Passanten verwandelte sich vor ihren Gesichtern in kleine Hauchwölkchen, sodass es bei großen Menschenmengen aussah, als würde die ganze Gruppe dampfen. In der letzten Nacht war Schnee gefallen und knirschte nun als zusammen gefrorene und verklumpte Masse unter ihren Füßen. Alle trugen dicke Wintermäntel und hatten versucht, sich mit Schichten von Kleidung gegen die Kälte zu wappnen. Die Zeiten waren eisig. Die Menschen waren es auch.

    Wofür hat man einen Job? Um ihn zu erledigen. Alles andere macht keinen Sinn.

    Also hatte er getan, was getan werden musste. Die Welt um ihn herum hätte zu Eis erstarren können. Er hätte den Lauf der Dinge nicht verändert.

    Zwischen den geschäftig hin und her eilenden Menschen fiel er nicht auf, in dieser Zeit trieb es viele seltsame Gestalten in die Stadt. Vielleicht etwas Wärme? Etwas Licht? Vielleicht ergatterten sie ja auch etwas Brot.

    Willkommen in der Eiswelt, ihr Bettler. Oh wärt ihr doch dort geblieben, wo ihr früher wart - das Leben ist hart. Vergesst das nicht, ihr Narren, die ihr an die Menschheit glaubt. Ich habe euch gewarnt...

    Er hatte die Hände in den Manteltaschen vergraben, doch die Kälte kroch ihm unter die Haut und zwickte und biss ihn unangenehm. Ziel- und orientierungslos ließ er sich durch die Stadt treiben, mal hier hin, mal dort hin.

    Ich hasse diese Kälte. Zu manchen Zeiten, so habe ich das Gefühl, friert sie sogar mein Eisenherz ein.

    Nicht, dass ihm nicht genug glückliche Gesichter begegnet wären, oh nein! Rosige Wangen, glänzende Augen, ein ansteckendes Lachen auf den Lippen. Es gab genug von ihnen, er hörte ihre Scherze im Gewirr der Stimmen, sie verbreiteten Fröhlichkeit, die sie wie eine engelsgleiche Aura umgab, wohin sie auch immer gingen. Er mied sie, so gut er konnte. In dieser Zeit konnte sogar er schlecht allein sein, dabei war er doch genau das immer gewesen.

    Allein. Willkommen in meinem Kampf gegen die Fremdbestimmtheit. Erst, wenn man alle Brücken hinter sich abgebrochen hat, dann weiß man wirklich zu würdigen, was wahre Freiheit ist.

    Beika- Park, immer wieder Beika- Park. Er wusste nicht, was ihn an diesen Ort zog oder was ihn dort so faszinierte, denn immer, wenn er dort war, wollte er so schnell wie möglich wieder fort.

    Andere hätten gesagt: Schön sieht es hier aus! Die Bäume tragen weiße Mützen, Schnee liegt auf den Wegen und knirscht unter den Füßen, wie automatisch tragen einen die Schritte zum nächsten Stand mit heißen Maronen oder Tee. Sehnsüchtig nimmt man das heiße Getränk in die Hand und taut ein wenig auf, man schüttelt sich innerlich vor Freude, wenn die Wärme die Kehle hinunter rinnt und sich vom Magen her ein warmes Gefühl im ganzen Körper ausbreitet, wenn die Finger vor Wärme zu pulsieren beginnen und man spürt, dass man einmal mehr den Kampf gegen die Kälte gewonnen hat.

    Lächerlich. Ich will hier weg.

    Und doch blieb er und konnte dabei nicht einmal sagen, wieso.

    Den ganzen kalten Tag lang hatte er sich im Beika- Park aufgehalten und sich die Zeit mit Warten vertrieben. Lächerlich, er wusste das, doch ein unbestimmtes Gefühl befahl ihm regelrecht, an diesem Ort zu verweilen. Grimmig lächelte er über sich selbst.

    Das ist also mein Kampf gegen die Fremdbestimmtheit? Hm, scheint, dass ich diese Runde grandios verloren habe. Nun gut, neue Runde, neues Glück. Irgendetwas scheint zu wollen, dass mir die Kälte mit langen, eisigblauen Spinnenfingern unter die Kleidung kriecht, dass mir der Wind mit der Eisfaust ins Gesicht schlägt, dass… dass da wieder dieses Gefühl von Leere ist. Diese Leere, die alles und jeden verschlingt, wie ein großes, schwarzes Loch. Diese… Leere, die nichts mehr auf dieser Welt füllen kann…

    Er rieb die Hände gegeneinander und hauchte sie an, doch es half alles nichts. Er trug nie Handschuhe, heute verfluchte er sich dafür. Eigentlich hätte er in das nächst beste Geschäft gehen und sich ein Paar kaufen können. Schwarz war seine bevorzugte Farbe und passte zu allem - wieso also nicht? Weil er bleiben musste. Weil er diesem irrwitzigen Gefühl gehorchte, obwohl er sich doch schon so lange nicht mehr hatte herumkommandieren lassen wollen. Also blieb er und sah sie alle:

    Die Kinder, die im Park eine Schneeballschlacht veranstalteten. Er hörte ihre hellen Stimmen und hätte sich am Liebsten die Ohren zugehalten, sie klangen so fröhlich, sie waren so verdammt glücklich! Doch er schloss nur die Augen und blieb auf seiner Parkbank sitzen. Seine Gedanken drifteten für einen Moment ab und flohen in Welten, zu denen Worte keinen Zutritt mehr haben.

    Es waren vier Kinder, drei Jungen, ein Mädchen. Sie fiel ihm zuerst auf, sie hatte so ein ehrliches Gesicht und dieses Strahlen, sie war so rein und unschuldig, wie Kinder eben nun einmal sein können.

    Kindermund tut Wahrheit kund. Was würde sie mir sagen, wenn sie wüsste, wer ich bin? Würde sie überhaupt mit mir reden? Und ihre Worte, würde ich ihre Worte überhaupt verstehen? Nicht akustisch, aber würde ich.. würde ich den Sinn dahinter überhaupt noch begreifen? Würde ich diese Wahrheit überhaupt noch verstehen?

    Der eine Junge war furchtbar laut. Er kannte diesen Typ Mensch, Typ Angeber, Typ „Ich kann alles und ich bin der Boss“. Eigentlich waren ihm gerade solche Menschen unsympathisch, nicht reden, handeln, so lautete seine Devise. Eine Devise, die sich nicht in Gold auszahlte, aber in geschenkter Zeit. Minuten, Stunden, Tage. Sein Handeln hatte ihm schon viel zu viel Zeit geschenkt.

    Wenn der Dicke erwachsen wäre… ja, natürlich, ich würde ihn nicht leiden können. Und er mich wahrscheinlich auch nicht. Manchmal hat man das, diese Situation, dass sich zwei Menschen ansehen und wissen: Wir werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Vielleicht habe ich inzwischen zu viele dieser Menschen getroffen. Oh ja… getroffen. Das ist ein schönes Wortspiel…

    Noch zwei weitere Kinder. Eine dürre Bohnenstange und ein Schlauberger mit Brille, der etwas abseits stand und irgendwie anders war.

    Der Dürre da, die Bohnenstange. Ja, auch solche Menschen kenne ich. Neunmalklug, blitzgescheit. Vielleicht steht dir eine lange Karriere bevor, mein Kleiner. Vielleicht in einem Job, der dir Ansehen und Ehre bringt. Ich hoffe, dass du den richtigen Pfad wählst, denn glaube mir, ich kenne viele Pfade und glaub mir, nicht alle führen zum Ziel.

    Nun sag mir aber, Schlauberger - was fasziniert mich eigentlich so an dir?

    „Conan?“

    Er fuhr aus seinen Gedanken auf. Zwei Mädchen - Schulmädchen, wie er unbewusst registrierte, immerhin trugen sie Schuluniformen - näherten sich den spielenden Kindern. Der Schlauberger mit der Brille - wohl der ominöse Conan? Seltsamer Name für ein Kind - lief auf eines der beiden Mädchen zu. Schlank, nicht sonderlich groß gewachsen, aber auch nicht klein, große, ehrliche Augen, lange braune Haare…

    Augen? Auf diese Entfernung bemerke ich ihre Augen?

    Er war irritiert über sich selbst. Doch ja, so ungern er es auch zugab, er achtete sinnloser Weise auf dieses nichtsnutzige Detail.

    Nichtsnutzig? Nun, wir wollen nicht übertreiben - wieso nichtsnutzig? Die Augen sind der Spiegel zu Seele, sagt man immer. Ich frage mich, Mädchen mit den braunen Haaren… Könntest du mir in die Augen sehen? Was würdest du dort sehen? Wirklich meine Seele?

    Die Kinderschar löste sich auf und strömte in alle Richtungen. Der Schlauberger, Conan - wieso merke ich mir nur seinen Namen? - ging mit dem Mädchen mit den langen braunen Haaren. Vielleicht seine Schwester? Vielleicht… wieso kümmert mich das?

    Verärgert stand er auf und stapfte durch den Schnee, die Glieder waren ihm steif gefroren. Das war nicht gut, er brauchte sie, er brauchte sämtliche Muskeln und jede einzelne verdammte Sehne, alles musste funktionieren, wofür hat man den sonst einen Job! Ein Job ist da, um zu funktionieren! Wozu - wozu denn sonst…?

    Auf einen kalten Morgen war ein kalter Tag gefolgt, der sich langsam dem Ende neigte. Schneller als in den Sommermonaten, in denen das Leben blühte und pulsierte und sich an sich selbst berauschte, war die Sonne zum Horizont gewandert und machte sich daran, ihr Licht mit sich zu nehmen und die Welt in Dunkelheit zu tauchen. Es war kein abrupter Übergang, in Tokyo schienen schon lange all die Lichter und bunten Lampen, die eine samtige, klirrend klare Nacht mit funkelndem Sternenhimmel und bleichem Vollmond erst lebenswert machten.

    Er schnaubte und starrte auf die Parkbank, auf der er heute den ganzen Nachmittag gesessen war, während die Kinder nicht weit von ihm weg eine Schneeballschlacht veranstaltet hatten.

    Wo war sie, die Kälte, die den ganzen Tag lang seine Sinne betäubt hatte? Wo war sie, die Einsamkeit, die ihn den ganzen Tag begleitet hatte und dank der er in sich selbst hatte ruhen können? Wut kochte wie eine lodernde Flamme in ihm hoch und wurde zu einem Lauffeuer, das in Windeseile in seine Glieder kroch und ihn schließlich ganz erfüllte.

    Soviel zu meinem Kampf gegen die Fremdbestimmtheit…

    Er schnaubte wütend und durchbohrte die unschuldige Parkbank mit finsteren Blicken. In diesem Moment hasste er sich selbst.

    Mit langen, raumgreifenden Schritten stapfte er durch die Straßen und kümmerte sich nicht darum, ob er Passanten anstieß oder wer oder was ihm aus dem Weg gehen musste. Jeder, der ihm entgegen kam, wich vor dem Mann aus, dessen Blick Feuer zu spucken schien. Warum war er so wütend? Kopfschüttelnd blickten sie ihm eine Weile nach, dann vergaßen sie ihn auch schon wieder.

    Er wusste nicht, wie lange er so dahin geeilt war. Endlich verlangsamte er an einer Straßenecke seine Schritte, denn die Ampeln zeigten noch leuchtend helles Rot.

    Missmutig musterte er seine Umgebung. Nicht weit von ihm entfernt hatte ein Musiker seine Habseligkeiten ausgepackt und auf einen Pappkarton unleserlich gekritzelt: Sturmkönig presents…

    Aha. Sturmkönig also. Seltsamer Name für einen Musiker…

    Sturmkönig hatte seine Gitarre auf dem Schoß und stellte gerade einen Pappbecher mit Kaffee vor sich auf den Boden.

    Nein, bitte keine kitschigen Weihnachtslieder…

    Er rollte mit den Augen und wollte forteilen, doch ein Blick auf das Mädchen von heute Nachmittag im Beika-Park hielt ihn zurück. Da stand sie, keine zwei Schritte von ihm entfernt, und musterte den jungen Musiker. Da war es wieder, das Gefühl, das ihm befahl, hier zu verweilen.

    Wegen ihr… ich wollte wegen ihr in diesen verdammten Park…

    Es riss ihn aus seinen Gedanken, als Sturmkönig sich die Fingerhandschuhe zurechtzupfte, dem Mädchen ein aufmunterndes Lächeln schenkte - ist doch klar, sie ist die einzige, die stehen geblieben ist, alle anderen rennen weiter, als würde er gar nicht existieren - und zu singen begann. Scheinbar mühelos übertönte seine helle Stimme den Lärm der vorbeifahrenden Autos, die Geräusche der Passanten, die unsägliche Dudelmusik, die aus den Geschäften nach draußen drang.

    „I dont know when
    But I felt the moment
    When you vanished into the dark
    a sting in my heart
    and it felt like forever
    when you said 'I'll be right back' “.

    Er sah, wie das Mädchen schmerzvoll die Augen schloss und den Kopf neigte, als müsste sie überlegen.

    Seine Worte - wieso bedeuten sie dir so viel?

    Er wusste nicht, dass dieses Mädchen Ran Mori war, die schon seit so langer Zeit auf Shinichi Kudo wartete. Damals, im Vergnügungspark, da hatte er zu ihr gesagt: „Ich bin gleich zurück.“ Den Stich in ihrem Herzen sollte sie niemals vergessen, denn kein Eispanzer der Welt würde es schaffen, diesen Schmerz zu kühlen.

    “Please come home for Christmas
    you're the only thing that I want this year
    Please come home for Christmas
    you're the only thing that I want this year.”

    Plötzlich kam Bewegung in den Mann, der von sich behauptete, er hätte ein Eisenherz, das keinerlei Gefühle kannte. Wie automatisch begann er, in seinen Manteltaschen zu kramen, dann zückte er ein Taschentuch, ging zu Ran und reichte es ihr. Ein scheues Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er sie anstupste und sie aus der Welt ihrer Erinnerungen riss.

    „Bitte sehr.“

    Wie verwirrt sie aussieht. Sie hat wohl nicht damit gerechnet, dass sie tatsächlich jemand anspricht. Dabei kann jeder sehen, wie sehr sie leidet. Es kann doch wirklich jeder sehen… Doch um ihn herum eilte das Leben weiter und kein Mensch hielt an, um einem Mädchen mit Tränen in den Augen wenigstens ein wenig Trost zu spenden. Nur Eisenherz blieb. „Schönes Lied, hm?“, machte er und drehte sich weg, damit sie sich in Ruhe die silbrigen Tränen abtupfen konnte, die hinter den langen Wimpern schimmerten.

    „Ja, wirklich, sehr schön…“, murmelte sie immer noch verloren, dann lächelte sie sanft. „Vielen Dank für das Taschentuch.“

    „Keine Ursache…“, machte er. Eine Pause voll von schwerem Schweigen entstand. Sturmkönig spielte unterdessen selbstvergessen weiter.

    Was mache ich hier? Was zur Hölle mache ich hier nur? Ich bin allein, ich bleibe allein, ich will allein sein und brauchte nichts und niemanden!

    Verzweifelt machte sich Eisenherz das eindringlich klar. Wieso war er so ein Idiot gewesen und hatte dem Mädchen geholfen? Was hatte ihm das gebracht? Die Ampel war unterdessen zwar schon einmal Grün gewesen, doch genau diese Phase hatte er verpasst und musste nun einmal mehr warten und in der Kälte stehen.

    Das ist Irrsinn. Ich muss hier sofort weg!

    Gerade eben wollte er gehen, da bemerkte er die Seitenblicke, die sie ihm zu warf. Verunsichert blieb er stehen, seine Sinne schlugen Alarm. Hier ging etwas vor, gegen das er seit Jahrzehnten angekämpft hatte. Wer war dieses Mädchen? Und wieso…

    „Sie waren heute allein im Beika-Park, nicht wahr?“, fragte Ran. Seine Haltung entspannte sich augenblicklich und er nickte: „Wieso?“

    „Haben Sie auf jemanden gewartet?“, erkundigte sie sich.

    „Nein.“

    „Dann waren sie also den ganzen Tag dort ganz alleine?“

    Er lächelte wieder. „Ja, und?“, fragte er irritiert zurück.

    Sie seufzte und blickte auf den Musiker, der immer noch selbstvergessen spielte. Für einen Augenblick schwieg sie noch, dann fragte sie: „Haben Sie auch jemanden, auf den Sie an Weihnachten warten?“

    Es war ihre Frage, die ihn aus dem Konzept brachte. Was tat er hier eigentlich? Er redete grundsätzlich nie mit Menschen. Wieso also mit ihr? Sie sah ihn direkt an und ein irrsinniger Vergleich mit einem Engel drängte sich ihm auf. War sie das? Ein Engel?

    „Ich…ich…“, stotterte er und sah hastig zu Boden. Mich hat noch nie ein Engel angelächelt…

    „Es gibt niemanden mehr, der auf mich wartet“, antwortete er schließlich und spürte mit einem Mal wieder diese Leere, die nichts mehr auf der Welt würde füllen können. „Und selbst?“, versuchte er, fröhlich zu klingen, aber es war eine Lüge und sie beide wussten das nur zu gut.

    „Ich werde auf jemanden warten…“, sagte sie, seufzte und nickte ihm zum Abschied zu. Wenigstens ist sie ehrlich… Es war das erste und letzte Mal, das er sie in seinem Leben sehen würde.

    Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden. Kälte kroch aus allen Ecken und stürzte sich auf die Passanten, die ihr hastig enteilten und Schutz im nächsten beheizten Gebäude suchten. Seit Stunden stand er an der Ecke und hörte dem Musiker zu, dessen Lied von Sehnsucht und Vermissen erzählte. Über ihm erstreckte sich ein schwarzer Himmel mit fahl funkelnden Sternen, Nachtschattenfetzen geisterten durch die Straßen und tauchten alles in Dämmerlicht.

    Die Wut war aus seiner Seele verschwunden. Doch das Eis, das er seit Jahren um sein Eisenherz trug, das hatte ein ihm unbekanntes Mädchen angetaut.

    “Please come home for Christmas
    you're the only thing that I want this year
    Please come home for Christmas
    you're the only thing that I want this year.”

    Plötzlich zückte Eisenherz ein Handy, seufzte, blickte vom Display auf den Musiker und dann wieder auf das Display. Dann wählte er eine bestimmte Nummer. Es tutete dreimal, ehe jemand abnahm. Sein Herz schlug so heftig, als wäre es ein kleiner verirrter Kolibri. Wie würde sie reagieren? Zunächst blieb es still am anderen Ende der Leitung.

    „Hallo?“

    Ruckartig sog er die Luft ein. Ein sanftes Lächeln erleuchtet Eisenherz’ Gesicht.

    Dann murmelte er: „Hallo…“

    „Hier steckst du.“

    Langsam hob er den Kopf und nickte dem anderen Mann zu. Der hatte sich einen langen roten Schal um das Gesicht geschlungen, sodass es halb davon verdeckt war, und funkelte ihn aus fahlen blauen Augen mit einer seltsamen Mischung aus Belustigung und Ärgernis an.

    „Ist dir nicht kalt? Wie lange bist du schon hier?“

    „Den ganzen Tag…“

    „Dummkopf. Ich wette, deine Finger sind schon blau. Du trägst ja wie immer keine Handschuhe…“, brummte der andere und die fahlen blauen Augen funkelten. „Mir wäre ein Gespräch im Warmen lieber…“

    Er hob die Schultern und setzte sich wieder auf die Parkbank, auf der er heute schon den ganzen Tag gesessen war. Dann schüttelte er den Kopf. „Dann geh doch ins Warme, wenn du musst. Ich bleibe. Irgendetwas sagt mir, ich muss.“ Seine Stahlaugen ruhten voller Ernst auf dem Boden.

    „Waren wir beide nicht für ein Gespräch verabredet?“, kam die irritierte Gegenfrage, dann dämmerte es dem anderen schon. „Was? Hier? Im verscheiten Beika- Park? Das übliche philosophische Gespräch? Du bist doch krank!“ Ärger schwang in der Stimme mit, nun unverhohlen.

    Der Mann mit den Stahlaugen schwieg. Erst, als sein Gegenüber sich mit verschränkten Armen neben ihn setzte, grinste er und sagte: „Welches Thema?“

    „Wahrheit“, machte der andere und schlug nun auch noch die Beine übereinander, um der Kälte ja nicht zu viel Spielraum zu lassen.

    Was ist die Wahrheit…

    „Entschuldigen Sie bitte…“

    Beide Männer fuhren auf, als hätte man sie dabei ertappt, wie sie geheime Pläne für ein Attentat oder einen Banküberfall oder wenigstens einen Versicherungsbetrug schmiedeten. Es war das Mädchen von heute Nachmittag, das mit den braunen Haaren und den ehrlichen Augen, wie er irritiert feststellte. Was konnte sie nur wollen?

    „Verzeihen Sie bitte, wenn ich Sie störe…“

    Oha, der Kleinen scheint die Aktion peinlich zu sein. Na bitte, das ist sie auch. Ich werde mich zwar nicht aufregen, aber er… Die Stahlaugen huschten zum Neuankömmling, der das Mädchen mit nur mühevoll unterdrückter Abneigung musterte. … er wird wieder ein Theater daraus machen. Wie üblich…

    „Ich habe heute einen Anhänger im Park verloren, haben Sie den vielleicht zufällig gesehen? Es ist, um genau zu sein, eine Kette, eine Kette mit einem kleinen Ring daran…“

    Ihr Gesichtsausdruck war erfüllt mit Enttäuschung, als der eine Mann, den sie heute Nachmittag schon gesehen hatte, den Kopf schüttelte. Der andere aber, unter dessen Blick sie zu schrumpfen schien, begann plötzlich, in seinen Taschen zu wühlen. Dann zog er eine Kette mit einem Ring hervor.

    „Dieser hier?“

    Seine Stimme jagte ihr Angst ein und Schauer über den Rücken, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Die Kette war von Shinichi und der Ring von Sonoko und sie würde nicht ohne sie gehen.

    „Ja, das ist er, dürfte ich den wieder haben?“

    „Nein.“

    „Bitte - was?“, fragte das Mädchen überrascht zurück.

    Oh nein, nicht diese Spielchen…

    Sie sah, wie der Mann von heute Nachmittag seinem Freund böse Blicke zu warf, doch das schien den erstens nicht zu stören und zweitens, sogar zu amüsieren. „Was ist die Wahrheit?“, fragte er stattdessen und sogar hinter dem roten Schal sah sie sein breites, widerwärtiges Grinsen. Irritiert zuckte Ran zurück. Doch ihr Verlangen nach Kette und Ring war zu groß.

    „Was meinen Sie?“

    Wenn er sich über sie hermachen würde und nur mit der Fragerei ablenken wollte, dann würde er schon sehen, wo…

    Der andere Mann half ihr: „Was ist Wahrheit. Definiere es einfach. Es ist ein Spiel, ist die Antwort zufrieden stellend, bekommst du deinen Anhänger wieder. Gefällt sie ihm nicht, musst du es erneut versuchen. Du kannst nur gewinnen. Versuch es!“

    Muss das wirklich sein? Wieso zieht er das Mädchen mit in die Sache? ...

    Ran zögerte und dachte daran, was Shinichi wohl antworten würde. „Wahrheit ist das höchste Gut, nach dem wir streben…“, antwortete sie schleppend und schielte auf die Hand, die immer noch Kette und Ring hielt. Der rote Schal schien zu überlegen.

    „Das gilt nicht für alle. Nenn mir einen Menschen, der heute Weihnachtseinkäufe erledigt hat und dabei nach Wahrheit strebte. Eine lächerliche These.“

    Die Hand mit dem Ring verschwand wieder in seiner Jackentasche. Fahle blaue Augen musterten sie gründlich und Ran hatte das Gefühl, als würden sie ihr das Fleisch von den Knochen ätzen. Sie blickte unsicher zu den Stahlaugen, die auf ihr ruhten. Irgendetwas in diesem seelenlosen Blick schreckte sie ab.

    „Wahrheit ist das Gegenteil von Lüge. Zufrieden, Ichiro?“, wandte sich der rote Schal an den Mann von heute Nachmittag. Ichiro, der Mann mit den Stahlaugen, seufzte. „Gib ihr den Ring, Saburo. Jetzt.“

    Doch Saburo dachte gar nicht daran. „Nächste Frage - was ist ein Engel?“, fragte er amüsiert. Das Blut schoss Ran in die Wangen. Was sollte der Unsinn? Sie wollte ihren Anhänger wieder zurück!

    „Ein Engel ist ein göttliches Wesen…“

    „Falsch!“, krähte Saburo fröhlich. „Falsch, das ist ja so was von lachhaft! Nächste Frage, was…“

    Plötzlich antwortete Ichiro: „Ein Engel ist die Manifestation der Wahrheit. Wahrheit ist das reinste und lichteste, was sich Menschen vorstellen können. Sie ist sogar so unglaublich klar, dass manche ihr nicht ins strahlend schöne Angesicht blicken können, aus Angst, sie würden daran erblinden. Genauso geht es mit den Engeln. Man kann sie nicht ansehen, denn es ist, als würde in ihrem Blick Feuer liegen und die Seele verbrennen.“

    Demonstrativ hielt Ichiro die Hand auf. Saburo funkelte ihn finster an, dann knallte er ihm den Ring und die Kette vor die Füße. „In einer Stunde. Am üblichen Treffpunkt. Hier ist es zu kalt, um zu philosophieren, und außerdem wird man ständig gestört!“, fauchte er wie eine wütende Katze, dann stapfte er davon.

    Ichiro hob unbeeindruckt die Schultern, dann bückte er sich, hob Rans Schmuckstück auf und säuberte es von Schnee. „Verzeih dem alten Knacker, er arbeitet im Labor, manchmal vernebeln einem die Dämpfe die Sinne.“

    Eben wollte er ihr noch die Kette in die Hand drücken, da zuckte auch seine Hand zurück.

    „Kannst du mich ansehen? Kannst du mich ansehen und mir sagen, was du in meinen Augen siehst?“

    Was sollte denn das alles nur! Doch verwirrt tat Ran, wie ihr geheißen, und versank in den stahlgrauen Augen, die manchmal wirkten wie ein verwunschener Fluss, und manchmal, wie die trostlose Wand einer Gefängniszelle. Sein Blick war schrecklich.

    „Ich sehe Leere. Leere und Einsamkeit“, antwortete sie leise.

    Etwas in seinem Eisenherz zog sich qualvoll zusammen und er senkte den Blick. Mit einem Mal konnte er das Mädchen mit den ehrlichen Augen nicht mehr ansehen, ohne seelisch daran zu Grunde zu gehen. Er zwang sich zu einem Lächeln und drückte ihr den Anhänger in die Hand, dann sagte er: „Gut gemacht, Engel. Mir scheint, du hast dir das hier redlich verdient - aber pass das nächste Mal besser darauf auf, verstanden?“

    Ran lächelte scheu und antwortete: „Danke…“

    Die Sonne war endgültig hinter dem Horizont verschwunden und ohne die zahllosen Lampen wäre die Welt schon längst in Finsternis versunken.

    Obwohl er eigentlich schon längst am üblichen Treffpunkt hätte sein sollen - Vertigo wird mich verfluchen, und so wie ich den alten Knacker kenne, beherrscht er auch noch Voodoo, das heißt, ich kann mich warm anziehen - doch viel lieber saß er hier und dachte über das nach, was gerade eben passiert war.

    Ein Engel hat mich angelächelt. Und ich Idiot konnte der Wahrheit nicht ins strahlendreine Angesicht blicken… Ich bin Leere. Ich bin Leere und Einsamkeit.

    Es war ein kalter Tag gewesen, es wurde eine kalte Nacht. Von oben funkelten zwar zahllose bleiche Sterne herab und auch ein großer, kränklicher Vollmond stand am Himmel, doch nicht alles auf Erden war gut und nicht alles auf Erden war schön.

    Es gab immer noch sie, diese Menschen, die ihr Leben in Einsamkeit und Leere verbrachten. Die allein in der Dunkelheit auf einer Parkbank saßen und der Wahrheit und den Engeln nicht ins Gesicht schauen konnten.

    Manchmal jedoch, manchmal gelangt auch in die finsterste Ecke ein Sonnenstrahl und erleuchtet einen Ort, der eigentlich schon lange in Dunkelheit versunken ist.

    Eine seltsame Erkenntnis, die ich heute gewonnen habe. Nun ja, es wird Zeit… ich sollte Vertigo nicht länger warten lassen…

    Manche Menschen nennen es ein Wunder. Manche Menschen nennen es unmöglich.

    Ich aber sage - schlussendlich ist alles möglich.

    Die Frage ist, was wir aus unseren Möglichkeiten machen. Und vielleicht ist gerade das der Gedanke, der in diesen Zeiten zählt. Der Gedanke von Advent und Weihnachten.
  • Eine wunderbare Geschichte von euch beiden!! (Morpheus und Vertigo... :D Die beiden Philosophen auf einer Parkbank *g*, dachte erst an Gin...) Und wie Vertigo Ran trietzt - unmöglich der Kerl!
    Ihr habt die Gefühle so schön beschrieben...einfach toll! Man möchte Morpheus direkt trösten :rolleyes:

    Vielen Dank für dieses tolle erste Türchen :thumbsup:

    **stolzes Mitglied der berühmt-berüchtigten Akirai-Foundation**



    Fanfiction:
    Scars
    and Guns and Roses
  • Mal eine etwas andere Geschichte, die, wie ich finde zum Nachdenken anregt. Zunächst dachte ich, dass es sich bei dem Mann um Gin handelt.
    Auch fand ich die Elemente aus Detektiv Conan gut, die ihr eingebaut habt und das ihr die Geschichte mit einem selbstkomponierten Lied verbunden habt.
    Tolle Idee, sehr kreativ ^^
    Ruhe und Gelassenheit, dazu noch Sorgfalt. Alles Eigenschaften meines Helden Holmes.

  • ouh das ist voll super ! habt ihr echt toll gemacht, einen schönen 1. Dezember ^^
    Well X means a kiss. A feminin expression of affection, but it could be also a sign of heatred, sure, X also means the target where the silver arow is shot.



  • :oflattered:

    Vielen Dank für die Kommentare! Freut mich, wenn ihr einen schönen 1. Dezember habt!

    :rhug:

    Es gibt soviele hier im Forum, bei denen ich mich bedanken müsste.
    DANKE!
    Ihr alle. Ihr wisst, dass ihr gemeint seid.

    Adios, Amigos und solche, die es werden wollten

    Troll over and out.
  • Dieses Türchen ist wirklich gut gelungen. Jeder hat seinen Teil echt super gestaltet.
    Der Weihnachtssong ist wirklich sehr schön geworden und auch die Geschichte ist sehr gut geworden.
    Allei die Idee einen selbstgeschriebenen Song zu verwenden ist großartig.
    Die Beschreibung der einzelnen Situationen und Personen ist richtig gelungen. Wie die anderen schon schrieben hat es einen nachdenklichen Charakter. Zwar etwas melanchonisch, aber nicht deprimiert. Genau passend. :thumbsup:
    Mitglied der berühmt-berüchtigten Akirai-Foundation 8-)


    Vielen lieben Dank Miya

  • Awh, ein toller Start für den Adventskalender!
    Die Geschichte ist richtig toll geschrieben, konnte mir alles so gut vorstellen. (Ich glaube, ich sollte mal langsam anfangen, FF's zu lesen XD)
    Und ja, der Song - Kartoffel kennt meine Meinung schon dazu - einfach großartig!
    Super Arbeit ihr zwei :)
    :othumbsup:
    -
  • Hey ho!

    Von mir auch ein riesen Dankeschön!

    Zum einen Danke an Akirai für die Idee mit der Zusammenarbeit und für die tolle Geschichte!!!

    Und natürlich allen die sich das Lied angehört haben! Freut mich sehr zu lesen, dass es dem einen oder anderen gefällt!

    Wünsche euch allen einen schönen ersten Dezember, sowie eine schöne Weihnachtszeit, und hoffe, dass die kleine Zusammenarbeit zwichen Aki und mir den einen oder anderen schon in Feiertagsstimmung versetzt hat :o^.^:

    LG
    “I'd rather be hated for who I am, than loved for who I am not.” -Kurt Cobain

    Mitglied der berühmt berüchtigen Akirai-Foundation!!

    Provehito In Altum!
  • Ich bin ja irgendwie etwas spät :osorry:
    Der OS war so schön und das Lied hat so toll dazu gepasst*_* Ich konnte kaum Lesen, weil ich Tränen in den Augen hatte, hac, zur Weihnachtszeit bin ich ja sowieso so weinerlich :rcushion:
    Das Lied hat mir weitaus besser gefallen als der typische "Driving home for christmas" oder "Last christmas"-Kitsch :rnod:


    -atm inaktiv-

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