23. Türchen von Ojala

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  • 23. Türchen von Ojala

    So, das vorletzte Tüchen! Noch einmal schlafen und dann ist Heiligabend! Freut ihr euch schon?

    Jetzt gibt es erst mal das Türchen Nr. 23 für euch von Ojala. Viel Freude beim Lesen.

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    Gin und das Rentier

    Es war vergleichsweise leer auf den Straßen Tokios. Nur der dreckigbraune, tausendfach zertrampelte Schneematsch auf sämtlichen Wegen zeugte davon, dass dies vor wenigen Stunden noch ganz anders gewesen war. Doch wer konnte, hatte seine Erledigungen inzwischen schon längst getätigt und saß nun im Warmen zuhause. Das war wohl auch besser so, denn draußen sollte es diese Nacht ziemlich ungemütlich werden, der Wetterbericht sagte eine eisige Kälte voraus.
    Obgleich die Temperaturen den Gefrierpunkt im Moment noch gar nicht unterschritten hatten, war es gleichwohl bereits jetzt wenig angenehm, im Freien unterwegs sein zu müssen. Der schneidende, eiskalte Wind diente als Vorbote dessen, was heute Nacht noch kommen sollte, und peitschte der schwarzen Gestalt die Schneeflocken ins Gesicht. Ihr langes Haar flatterte im Wind und glänzte silbrig im Schein der Straßenlaternen.
    Natürlich machten Gin weder Schnee noch Wind etwas aus. Mit einer Hand ein Handy am Ohr, bahnte er sich zügig seinen Weg. Sein Porsche stand ein gutes Stück weit entfernt sicher in einer Garage, heute musste er ohne ihn auskommen. Auf dem winzigen Institutsparkplatz, zu dem er unterwegs war, hätte dieses Kleinod viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Und genau das, nämlich die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, musste er heute vermeiden. Nun gut, das war gleichzeitig auch die einzige Schwierigkeit, die er heute zu bewältigen hatte. Mit zwei Fingern drückte er sich kurz gegen die Stirn. Pah, Schwierigkeit. Unauffällig zu agieren, war er gewohnt. Bei fast jeder Mission galt es schließlich, möglichst unbemerkt zu bleiben. Selbst sein schwerer schwarzer Mantel, der Hut und der Schal waren bei diesem Wetter die richtige Wahl. Das reinste Kinderspiel würde das heute Abend werden.
    "Du machst das alleine, Gin? Bist du dir sicher?"
    "Ja, Wodka, bleib wo du bist. Es geht nur darum, einen Rentier umzubringen. Rentiert sich nicht, da zu zweit aufzukreuzen."

    "... sehen Sie hier das Rentier in unmittelbarer Nachbarschaft zur Giraffe."
    Als Gin das Institut betrat, hörte er Eisensteins Stimme schon aus dem Vortragssaal zu ihm dringen. Die Veranstaltung hatte bereits begonnen. Gin war bewusst etwas später erschienen, um zu verhindern, dass er womöglich noch von irgendwelchen anderen Besuchern angesprochen würde. Mit verzerrtem Gesicht fasste er sich kurz an den Arm. Nur niemandem im Gedächtnis bleiben. Die meisten Leute wagten es zwar ohnehin nicht, ihn anzusprechen, aber Einschüchterung wiederum war nunmal auch nicht besonders unauffällig.
    "Darf ich Ihnen einen Aperitif anbieten? Einen Manhattan vielleicht?" Gin drehte sich zu dem jungen Mann mit schütterem Haar um, der ihm etwas unsicher ein Glas entgegenstreckte.
    Unauffällig bleiben.
    Gin nahm ihm das Glas ab, leerte es in einem Zug und ging weiter in Richtung Vortragssaal. Der Saal war ähnlich winzig wie der Parkplatz des Instituts und daher trotz der wenigen Zuhörer recht gut gefüllt. Die letzte Reihe allerdings war kaum besetzt, das kam ihm entgegen. Er ließ sich dort nieder und blickte zu Eisenstein nach vorne.
    "... in der Nähe des Polarsterns. Sehen Sie hier ganz deutlich den Schwanz des Rentiers nur wenige..."
    Eisenstein. Das dürfte heute sein letzter Vortrag sein. Ein schmales Lächeln huschte über Gins Gesicht. Eisenstein hatte früh große Mengen an Land geerbt. Allein die Verpachtung brachte ihm so viel ein, dass er mühelos davon leben konnte. Sein ganzes Leben hatte er noch nicht arbeiten müssen. Gin schnaubte kurz. Ein Kinderspiel würde es werden, diesen Rentier umzulegen.
    Aber warum hatte der Boss dann gerade ihm den Auftrag gegeben, Eisenstein umzubringen? Eisenstein hatte sein Anwesen ganz in der Nähe und wie immer würde er auch heute zu Fuß nach Hause zurückkehren. Die Strecke führte an einem Kanal vorbei; ein Schlag, ein kleiner Stoß also und die Sache wäre erledigt.
    Eine Aufgabe, die jeder Handlanger ausführen könnte. Wozu wurde also ein Profi wie er benötigt? Sollte das etwa eine Art Strafe sein? Das konnte er sich nicht vorstellen, er hatte gute Arbeit geleistet. Gerade vor wenigen Tagen erst hatte er im Haido-City-Hotel erneut die Situation gerettet und Pisco rechtzeitig umgebracht. Klar, Sherry war ihm erwischt, und das ärgerte ihn selbst am meisten. Er fasste sich ein weiteres Mal an den Arm, die Schusswunde schmerzte immer noch, mehr denn je. Aber die Angelegenheit mit Sherry war schließlich nicht sein eigentlicher Auftrag gewesen, auch wenn er persönlich natürlich großes Interesse daran hatte.
    "Darf ich Ihnen einen Manhattan anbieten?", hörte er die Stimme des jungen Mannes von draußen. Der war ziemlich überrascht, um diese Zeit hätte er nicht mehr mit einem weiteren Besucher gerechnet. Allerdings hatte er das auch schon gedacht, bevor der seltsame schwarzgekleidete Mann von eben gekommen war. Aber er war durchaus erfreut, sich getäuscht zu haben. Auf diese Weise war er seine letzten beiden Cocktails losgeworden und konnte endlich nach Hause. Andererseits hätte es ihm wohl auch keiner übel genommen, wenn er einfach schon vorher gegangen wäre. Er lächelte der attraktiven Rothaarigen zu, als sie im Saal verschwand.
    Die Frau Mitte 30, die neben ihm Platz nahm, würdigte Gin keines Blickes. Starr starrte er vor sich hin. Wie häufig hatte ihm der Boss keinen Grund genannt, wieso seine Zielperson sterben sollte. Das war ihm eigentlich auch egal. Er solle vorsichtig sein, hatte es in der Mail geheißen. Unnötig zu erwähnen, denn das war er immer. Wollte der Boss ihm damit zu verstehen geben, dass Eisenstein ein gefährlicher Gegner sein würde? Gin betrachtete den Vortragenden eingehend. Nein, Gefahr ging von diesem Langweiler wohl keine aus, das konnte Gin sich kaum vorstellen. Da Eisenstein sich um seinen Lebensunterhalt nicht kümmern musste, hatte er viel Zeit, sich seinem Hobby zu widmen, der Sternkunde. Von Zeit zu Zeit hielt er hier im Institut dazu Vorträge wie eben heute. Um historische Sternbilder oder etwas in der Richtung ging es. Sterbenslangweilig. Aus den Augenwinkeln blickte Gin zur Seite. Seine Nebensitzerin war sogar eingeschlafen. Sie kippte leicht zur Seite und ihr Kopf landete auf Gins Schulter. Es würde höchste Zeit, dass der Vortrag zu Ende ging und er diesen Sternennarr endlich kaltmachen konnte.

    Die Zuhörer kamen langsam aus dem Institutsgebäude. Gin hatte den Saal als erstes verlassen, länger hätte er es dort drinnen auch nicht mehr ausgehalten. Rauchend stand er etwas abseits im Schatten und behielt den Eingang im Blick.
    Wenn der Auftrag also weder besonders wichtig noch besonders schwierig war, warum gerade er? Es war ja nicht so, dass er im Moment nichts zu tun gehabt hätte. Also doch ein Denkzettel? Es kitzelte ihn kurz an der Nase, doch Gin unterdrückte den Niesreiz mühelos. Weiter hatte er die Tür des Gebäudes im Auge. Seine wieder erwachte Nebensitzerin verließ das Institut und winkte ihm im Vorbeigehen zu. Wunderbar unauffällig war er heute. Gin fröstelte. Durch das lange Warten wurde ihm tatsächlich etwas kalt. Der Schnee, der ihm unnachgiebig entgegenpeitschte, tat sein Übriges. So langsam dürfte Eisenstein sich auch mal auf den Weg machen. Der würde doch wohl nicht noch einen Plausch mit irgendjemandem halten? Andererseits, wer wollte es ihm verübeln, die letzten Minuten seines Lebens noch auszukosten. Am Hintereingang erkannte Gin eine Bewegung. Tatsächlich, Eisenstein. Tja, er hatte eben doch alles im Blick. Gin gab seinem Opfer einen ordentlichen Vorsprung und heftete sich ihm dann an seine Fersen.

    Es sah so aus, als hätte Eisenstein doch noch etwas mehr, als nur wenige Minuten zu leben. Zumindest war dieser so langsam unterwegs, dass es noch eine Weile dauerte, bis er den Kanal passieren würde. Gin schnaubte. Ja, sie mussten gegen den Wind und den Schnee ankämpfen, aber ganz so langsam musste es dann doch nicht vorwärtsgehen.
    Schmerzverzerrt verzog er sein Gesicht. Bei jedem Stechen in der Narbe an seinem Arm musste er wieder an die Szenen auf dem Dach des Hotels denken. Er nieste. Zu allem Überfluss hatte er sich dort wohl auch noch eine Erkältung eingefangen. Schon eine ganze Weile spürte er das Drücken in der Stirn, das an Intensität inzwischen deutlich zugenommen hatte. Gin blickte zu Eisenstein nach vorne, doch der war viel zu weit entfernt, als dass er sein Niesen in all dem Schnee und Wind hätte hören können.
    Nichtsdestotrotz, eine Erkältung war nichts weiter als eine Lappalie und ganz sicher nichts, was ihn an der Ausführung einer Mission hätte hindern können. Er dachte an seine Mutter zurück. "Vergiss nicht, deinen warmen Mantel und deinen Schal anzuziehen", hatte sie ihm jeden Winter gepredigt. Ha, sie wäre stolz auf ihn gewesen, wenn sie ihn jetzt hätte sehen können. Wenn sie sehen hätte können, was aus ihm geworden war, wie er durch die Welt lief.
    Quälend langsam bewegte er sich weiter vorwärts. "Lauf schneller, du lahmer Sack", hätte er seinem Opfer am liebsten zugerufen. So wie um ihn herum die Schneeflocken wirbelten, wirbelten in seinem Kopf die immer gleichen Gedanken herum. Ein Denkzettel? Oder hatte der Boss gar das Vertrauen in ihn ...
    Völliger Unsinn. Gin schüttelte den Kopf. Was war nur mit ihm los? Die Selbstzweifel. Die Ungeduld. Das dauernde Abschweifen. Die ganzen Erinnerungen an die Vergangenheit. Er war ein fähiger Topagent, der im Hier und Jetzt lebte, sich seines Wertes und seines Könnens bewusst. Nur auf sein Ziel fokussiert. Wieso ließ er gerade jegliche Konzentration vermissen?
    Diese verdammte Erkältung. Klar, wie soll man klaren Kopf bewahren bei diesem dauernden Hämmern im ...
    Schon wieder. Gin lachte hämisch. Schon wieder war er abgeschweift. Eine Erkältung und ein Drink. Als ob ihn das aus der Bahn werfen könne. Wenn er einen Auftrag bekam, so würde das schon seine Bewandtnis haben. Der Boss würde schon einen Grund gesehen haben, warum es nötig war, ihm diese Aufgabe zu erteilen. Er fixierte Eisenstein, zu dem er inzwischen fast schon aufgeschlossen hatte. Viel zu schnell war er gewesen, während er in seine Gedanken vertieft war.
    Anfängerfehler, dachte er sich und ließ sich wieder zurückfallen. Niemals den Gegner unterschätzen, nicht von seinem Auftreten täuschen lassen. Wer sagte ihm, dass sich hinter dem unscheinbaren Äußeren nicht vielleicht ein wahres Genie verbarg? Obgleich Eisenstein natürlich schon sehr unscheinbar daherkam, so wie er mit beiden Händen den Hut auf seinem Kopf festhielt. Eine Biegung noch und sie hätten den Kanal erreicht. Dann trennte nur noch ein kleiner Stoß den Verfolger vom Erfolg seiner Mission. Nur noch wenige Meter und ...
    Gin stockte. Ein heftiger Windstoß riss Eisenstein den Hut vom Kopf. Schnell drehte sich der Verfolgte um und hatte seine Kopfbedeckung bereits nach wenigen Schritten wieder eingeholt. Offenbar unbeeindruckt setzte er seinen Heimweg fort. Bei Gin hingegen schrillten alle Alarmglocken. Ein harmloses Missgeschick? Oder eine Möglichkeit, sich unauffällig umdrehen zu können? Hatte Eisenstein den Hut nicht eigentlich fest mit den Händen auf dem Kopf gehalten? Wie konnte der Hut ihm dann entgleiten? Gin erinnerte sich an die Warnung des Bosses. Vorsichtig solle er sein. Hatte es dieser Rentier etwa faustdick hinter den Ohren? Lief er, Gin, hier etwa geradewegs in eine Falle hinein?
    Ein breites Grinsen breitete sich in Gins Gesicht aus. Egal, in welchem Zustand er auch gerade war, so leicht ließ er sich nicht hinters Licht führen. Eisenstein hatte die Biegung inzwischen erreicht und bog nach links. Doch Gin würde ihm nicht einfach leichtfertig folgen. Wenn er stattdessen zunächst weiter geradeaus ginge und den Block dann umquerte, so würde er Eisenstein von der anderen Seite entgegenkommen. Gins Grinsen verbreiterte sich weiter. Und dann gute Nacht, Sterngucker.

    Gin wartete, bis er außerhalb von Eisensteins Blickfeld war, dann rannte er los. So langsam wie sein Ziel unterwegs war, dürfte es eigentlich kein Problem sein, den Block rechtzeitig zu umqueren. Gins Herz raste wie verrückt. Seine geistige Leistungsfähigkeit war scheinbar unverändert, doch körperlich stieß er an seine Grenzen. Trotzdem ließ er nicht nach. Er erreichte die Kreuzung und bog links ab. Damit müsste er sich jetzt in der Parallelstraße zu Eisenstein befinden. Gin beschleunigte weiter, als er plötzlich ein Knacken irgendwo über ihm hörte. Geistesgegenwärtig sprang er zur Seite, doch es nützte nichts, denn die Dachlawine erwischte ihn trotzdem und riss ihn zu Boden. Unter Schnee und Eis ging Gin begraben.
    Er schnaufte tief und versuchte, sich aus all dem Schnee zu befreien. Doch seine Bewegungen waren ungewohnt schwerfällig und zu allem Überfluss zehrten auch noch die Schmerzen in Kopf und Arm an ihm. Viel zu lange dauerte es für seinen Geschmack, bis er sich den Weg freigegraben hatte, und viel zu viel Kraft kostete es ihn. Als er endlich wieder auf den Beinen stand, Mantel und Gesicht noch weiß vom Schnee, fühlte er sich unglaublich erschöpft. Erneut fröstelte es ihn, doch diesmal ergriff ihn die Kälte viel stärker als noch vorhin. Wie viel Zeit hatte ihn das gekostet? Eisenstein müsste inzwischen schon fast zuhause angekommen sein, oder nicht?
    Gin sprintete wieder los, versuchte so schnell zu rennen, wie er nur konnte. Nachdem vorhin sein Herz schon gerast hatte wie verrückt, hatte er dieses Mal den Eindruck, es würde ihm fast zerspringen. Die Schmerzen in Kopf und Arm ließen inzwischen kaum noch nach. Und trotz all seiner Anstrengung kam es ihm vor, als käme er kaum vom Fleck. Endlich erreichte er die nächste Kreuzung, bog wieder nach links. Jetzt nur noch geradeaus und er würde wieder auf Eisensteins Heimweg stoßen. Nur dass dieser womöglich schon längst zuhause wäre. Gin versuchte, noch einmal alles aus seinem Körper herauszuholen, nur es schien nichts zu bringen. Irgendwann musste er diese Straße dort vorne doch erreichen, er konnte sie schließlich schon lange sehen. Noch 100 Meter...

    Er brach ab, es ging nicht mehr. Keuchend schleppte er sich die restlichen Meter im Gehtempo bis zur Straßenecke. Er schaute nach rechts, Eisenstein war nirgends zu sehen. Klar, inzwischen musste selbst ein Schleicher wie er schon längst...
    Gins Blick fiel nach links und dort sah er ihn. Nicht weit entfernt von der Stelle, wo sich ihre Wege getrennt hatten, stapfte Eisenstein in aller Gemächlichkeit durch den Schneematsch.
    Das konnte doch nicht sein. In all der Zeit sollte sein Opfer nur wenige Schritte vorangekommen sein? Es sei denn... Hatte Eisenstein ihm etwa aufgelauert? Die ganze Zeit auf ihn gewartet? Dort am Kanal? Gin versuchte, kühlen Kopf zu bewahren, während sein zitternder Körper vor Hitze glühte. Jetzt ja keinen Fehler, nur keinen voreiligen Schritt. Er sah, wie ihm Eisenstein langsam entgegenkam.
    Noch war nichts verloren - im Gegenteil, er hatte noch alle Trümpfe in der Hand. Aber er musste sich ganz sicher sein, bevor er seine nächsten Schritte plante. Wenn Eisenstein wirklich am Kanal auf ihn gewartet hatte, konnte er das anhand der Abdrücke im Schnee nachvollziehen. Sobald er das in Erfahrung gebracht hatte, konnte er sich um alles Weitere kümmern.
    Andererseits sollte er dem Hobbyastronomen solange nicht gerade über den Weg laufen. Das heißt, er würde wieder den Umweg zurück um den Block herum nehmen müssen. Sein Puls hatte sich inzwischen wieder ein wenig gesenkt. Das würde klappen müssen. Er rannte erneut los.

    Völlig außer Atem stand Gin am Rande des Kanals, zitternd und laut schnaufend. Seinen Hut hatte er irgendwo auf dem Weg hierher verloren, vom Winde verweht. Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals ein solch bemitleidenswertes Bild abgegeben hatte. Und das auch noch bei einem solch lächerlichen Auftrag wie diesem. Aber noch war es nicht zu spät. In der Ferne glaubte er, Eisenstein gerade noch erkennen zu können. Falls es sich hier tatsächlich um einen harmlosen Alten handelte, würde er problemlos noch zu einem Plan B greifen können. Und falls nicht, dann würde es erst so richtig interessant.
    Oder war das gar nicht Eisenstein, den er gerade zu erkennen glaubte? Vor seinem Kopf verschwamm alles in einem milchigen Nebel. Ihn schwindelte. Zu den Schmerzen in Arm und Stirn waren jetzt auch noch welche in der Brust hinzugekommen. Er taumelte, fing sich aber wieder. Und seine Schulter schmerzte ebenfalls, mehrfach fuhr er mit der Hand kräftig darüber. Aber was war jetzt mit den Fußspuren? Sah eigentlich alles normal aus, keine Anzeichen dafür, dass hier jemand gewartet hätte.
    Gin trat nun ganz dicht an den Kanal heran. Oder etwa doch? Zwischen dem milchigen Schleier, der sich vor seine Augen gelegt hatte, konnte er kaum etwas erkennen. Ächzend ging er in die Knie, um sich alles etwas genauer anzusehen, da gaben seine Beine plötzlich nach. Er kippte zur Seite weg und landete im Wasser.

    Kraftvoll grub er seine Hände ins Ufer und stieß sich aus dem Wasser. Ja, das eiskalte Wasser hatte seine Lebensgeister neu erweckt, er sah nun klarer denn je. Gin wrang sich die Haare aus und schaute sich die Stelle, an der er gerade in den Kanal gefallen war, erneut an. Sein wacher Blick blieb an einem winzigen Detail am Boden kleben. Ein rotes Haar. Sherry! Gin lachte laut los, alles ergab nun Sinn. Sherry, du also... Du und dein Freund, ihr...
    Unsinn, völliger Unsinn. Sherry war nicht mehr in Tokio. Er besaß einen klaren Verstand, den sollte er auch nutzen. Seine Nebensitzerin aus Eisensteins Vortrag kam ihm in den Sinn.
    Diese Schlampe steckte also auch mit im Boot. Gin lachte so laut, dass man es schwerlich noch als unauffällig bezeichnen konnte. Wieso meinten eigentlich alle, dass man ihn so einfach hintergehen oder hinters Licht führen konnte. Nun ja, seine Rache würde fürchterlich sein, wie immer. Er hob das Haar vom Boden auf. Apropos Haar. Der junge Mann mit schütterem Haar kam ihm in den Sinn. Natürlich. Ein bisschen Alkohol oder eine leichte Erkältung ließen ihn doch nicht so die Kontrolle verlieren. Was hatte ihm der Bursche wohl ins Glas gemischt? Dann war die Dachlawine also auch kein Zufall gewesen? Das musste er sich aus der Nähe ansehen. Ein weiteres Mal rannte er los, diesmal schneller denn je.

    Eisenstein öffnete die Tür, hängte Mantel und Hut an den Haken und ließ sich erschöpft in den Sessel sinken. Der Heimweg war anstrengend gewesen. Gleich zweimal hatte der Wind ihm den Hut vom Kopf gerissen. Beim ersten Mal hatte er ihn ja schnell wieder eingeholt, aber beim zweiten Mal... Er griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher an.

    Gin schäumte vor Wut. Während er die Straße entlangrannte, an den Schaufenstern vorbei und mit dem eisigen Wind im Rücken, malte er sich bereits aus, was er mit allen Beteiligten dieses Hinterhalts anstellen würde. Er griff sich kurz an die Stirn. Das eisige Wasser hatte zwar seinen Verstand aufgefrischt, aber die Schmerzen waren alle zurück und zwar schlimmer als zuvor. Auch der Nebel vor seinen Augen kehrte jetzt wieder und das Laufen strengte ihn inzwischen ebenso sehr an wie vorhin. Aber wenigstens sein Verstand war wieder da, das war das wichtigste, damit konnte er alles regeln. Nicht noch einmal wollte er diejenigen entkommen lassen, die ihn hintergingen. Schlimm genug, dass Sherry und ihr Komplize... aber die würde er auch noch krie...
    Gin stolperte über ein Schlagloch im Boden und landete im Matsch, der hoch aufspritzte und sich dann erneut über ihm ergoss. Im Nu rappelte er sich wieder auf. Welch eine Demütigung! Aber sie alle sollten für diese Demütigung bezahlen, alle! Die Kraft verließ ihn erneut, den Oberkörper nach vorne gebaugt taumelte er vorwärts. Mit dem Kopf konnte er sich noch gegen eine Reklametafel lehnen, dann sackte er zu Boden und sein Bewusstsein entschwand ihm.


    Langsam öffnete Gin die Augen. Er fror, es war ihm eiskalt und er versuchte aufzustehen. Vorsichtig stützte er sich zunächst auf Arme und Beine, als er es aus den Augenwinkeln sah. Er traute zunächst seinen Augen kaum, kroch etwas näher heran. Der dunkelbraune, fast schwarze Körper mitten im Weiß. Etwas heller die beiden langen, seltsam geformten Geweihstangen. Kein Zweifel, da stand ein Rentier mitten im Schnee – und es starrte ihn an.
    Er versuchte, die Augen offenzuhalten, doch er verlor das Bewusstsein erneut.



    Langsam öffnete Gin die Augen. Er fror, es war ihm eiskalt und er versuchte aufzustehen. Vorsichtig stützte er sich zunächst auf Arme und Beine, dann richtete er sich vollends auf und schaute sich um. Das Rentier war weg. Er atmete erleichterte auf.
    In seiner Tasche piepste sein Handy. Er klappte es auf und las die Nachricht seines Bosses. "Wo ist das Rentier? Bring es zu mir." Gin schaute sich um. Das Rentier war weg. Beunruhigt sah er erneut auf sein Handy, doch am Inhalt der Nachricht änderte sich nichts. "Wo ist das Rentier? Bring es zu mir."
    "Na, Hilfe gefällig?" Die Frau aus dem Institut winkte ihm zu.
    "Pah, deine Hilfe brauche ich nicht", schnaubte Gin und wandte sich von ihr ab. Wo sollte er nur das Rentier finden? Wo? Er überlegte. Rentiere. Schnee. Ein Rentier im Schnee. Wo Schnee ist, sind auch Rentiere. Oder umgekehrt? Wo ein Rentier ist, ist auch Schnee? Schnee, Rentier, Rentier, Schnee. Er spürte seine Narbe am Arm. Das Dach. Der Ort seines Versagens. Wieso hatte er solange gewartet? Wieso nicht einfach abgedrückt? War ihm das Gefühl der Macht so viel wert gewesen? Er sah Schnee, der umherwirbelte. Schnee, der sich rot färbte. Blutrot.
    Das Dach. Auf dem Dach hatte es Schnee. Auf dem Dach stand das Rentier. Er machte sich auf den Weg zum Hotel.

    Da stand er nun auf dem Dach, gleich neben dem Kamin. Schnee hatte es hier, viel Schnee. Aber kein Rentier.
    War hier je ein Rentier gewesen? Wie war es hier weggekommen und wer hatte ihm zur Flucht verholfen? Wer war dieser verdammte Kerl, der dem Rentier geholfen hatte? Dieser verdammte Kerl. Und wieso half ihm eigentlich nie jemand? Wieso musste er im Ernstfall immer alles alleine lösen?
    "Na, Hilfe gefällig?" Der junge Mann mit schütterem Haar streckte ihm die Hand entgegen.
    "Pah, deine Hilfe brauche ich nicht", schnaubte Gin und schaute den Jungen an. "Und wie willst du mir eigentlich helfen?"
    Der Junge lächelte ihn an. "Ich habe dir das Ren gefangen. Es ist unten im Weinkeller eingesperrt."

    Die beiden standen zusammen vor der Tür, Gin schoss das Schloss auf. Schnellen Schrittes betrat er den Weinkeller. Niemand. Er schritt zum Kamin und lauschte. Ein Atmen, ein Rentierhaar auf dem Boden. Er lächelte.

    Weiß, überall weiß. Das ganze Dach war weiß. Weiß soweit das Auge reichte. Aber kein Rentier. So langsam dürfte das Rentier jetzt doch mal kommen. Es würde doch nicht etwa noch einen Plausch... Einen Plausch mit diesem Kerl vielleicht? Wieder dieser Kerl? Wer war der verdammte Kerl, der seiner Beute zur Flucht verhalf?
    "Hm... du?" Die Frau aus dem Vortrag winkte ihm zu. "Das Ren hatte sich im Kamin versteckt, aber nachdem du aufs Dach verschwunden warst, ist es einfach durch die Tür herausspaziert. Irgendjemand hatte nämlich das Schloss zerschossen." Sie zwinkerte ihm zu.
    "Nein." Gin schüttelte den Kopf. "Ich bin nicht der Kerl. Nicht mehr."
    "Wieso sperrst du dich eigentlich so gegen meine Hilfe? Noch können wir das Ren einholen. Komm, steig auf." Erst jetzt sah Gin, dass die Frau aus dem Museum ein Rentier war, und tat, wie sie ihm geheißen hatte. Ihre Geweih war zu kurz, als dass er sich daran hätte festhalten können; und so hielt er sich mit seinen Armen an ihrem Hals, während sie durch das endlose Weiß ritten.
    Aber wo sollte er das Rentier jetzt finden? Überall nur weiß, aber keine Spur. Das Rentier aus dem Institut hielt abrupt an und warf Gin auf diese Weise von seinem Rücken ab. "So geht das nicht weiter. Du kannst ja überhaupt nicht lenken, du weißt gar nicht wohin. So kommen wir nie ans Ziel. Ich muss das wohl übernehmen."
    Gin lag im Schnee und starrte an sich hinab. Was er erblickte, waren vier Hufe und er stellte fest, dass er selbst ein Rentier war. Die Frau aus dem Museum schwang sich auf seinen Rücken, packte ihn an den Hörnern, grub ihre Füße in sein Fell und schickte Gin auf die Reise.
    Die beiden hetzten geradeso durch das Weiß; Gins Herz raste, so sehr wurde er gescheucht. "Schneller, Gin, schneller. Sonst holen wir es nie ein." Gin wurde zum Äußersten getrieben, er rannte so schnell er nur konnte. Er rannte so schnell, dass er das Gefühl hatte, sein Herz würde jeden Moment zerspringen. Und immer noch war es ihr nicht genug, forderte sie immer mehr. Er versuchte, noch schneller zu rennen, aber alles schmerzte ihn bereits. Und trotz aller Anstrengungen kam es ihm vor, als kämen sie kaum vom Fleck. Gin ging die Kraft aus, ihn schwindelte, er sah nur noch verschwommen. Er brach ab, es ging nicht mehr.
    "So geht das nicht weiter. Du bist zu langsam, Gin. So schaffen wir das nie." Sie stieg von seinem Rücken und wandte sich einem Rentier mit schütterem Fell zu, das neben ihnen stand. Sie winkte Gin zu und das schüttere Rentier lächelte ihn an, als die beiden gemeinsam durch das Weiß davonritten. In Windeseile waren sie verschwunden. Gin, das Rentier, blieb alleine im Schnee zurück.
    Plötzlich spürte Gin einen Schatten in seinem Rücken. Sein Handy piepste, er las die Nachricht. "Ich brauche deine Hilfe nicht mehr. Ich habe bereits selbst ein Rentier gefunden." Er spürte den Schatten näher an sich heranrücken.



    Gin öffnete die Augen und stütze sich auf Arme und Beine. Das erste, das er sah, war ein einsames Rentier im Schnee. War da nicht außerdem noch eine Bewegung gewesen? Eine Fledermaus? Er schloss die Augen schnell wieder.


    Gin spürte die Kälte am ganzen Körper, er fühlte sich beinahe erfroren an. Am schlimmsten war der Schmerz in seinem Gesicht. Er öffnete die Augen und richtete sich unter Schmerzen langsam auf. Er sah furchtbar aus, wie er mit einem Blick in die ihn widerspiegelnde Schaufensterscheibe vor ihm erkennen konnte. Unter dem Schnee, der ihn bedeckte und nur langsam von ihm abfiel, waren Gin und seine Kleider schlammbraun von dem Matsch, in den er vor wenigen Stunden gestürzt war. Noch schlimmer war der Anblick seiner Frisur. Zwei inzwischen abgeknickte silbrigbraune Stangen standen an seinem Kopf hervor. Offenbar war sein nasses Haar, vom Wind in Position getragen, zu beiden Seiten der Reklametafel jeweils zu einem langen Horn gefroren.
    Konsterniert blickte Gin sein Spiegelbild an. Hoffentlich hatte ihn so niemand gesehen – oder gar ein Foto geschossen. Noch viel schlimmer aber: Seine Mission war gescheitert. Er würde Bericht erstatten müssen. Gin zückte sein Handy.

    Die Gestalt am Fenster der Villa starrte in den Nachthimmel, als sie die Nachricht erreichte. Soso, gescheitert also. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Aus einem Plattenspieler ertönte weihnachtliche Musik – so monoton, dass man meinen könnte, die Platte wäre hängengeblieben.
    Das würde Gin ganz gut tun. Ein kleiner Fehlschlag zur rechten Zeit konnte sehr heilsam sein. Weil er Selbstzufriedenheit und Übermut bremst, solange sie das rechte Maß noch nicht überschritten haben. Weil er hilft, nie die nötige Wachsamkeit zu verlieren. Weil er als Ansporn dient, immer besser zu werden. Und natürlich weil er die Demut dem gegenüber fördert, dem nie ein Fehler unterläuft. Fast nie zumindest.
    Und außerdem... Natürlich war Gin sein bester Agent. Seine Aktionen waren vielleicht nicht immer im Sinne der Gestalt am Fenster gewesen, aber immer im Sinne der Organisation, unbestreitbar. Von Strafe konnte also nicht die Rede sein, Gin hatte sich der Organisation gegenüber nichts zu Schulden kommen lassen. Und trotzdem, ein Denkzettel vielleicht als kleines privates Vergnügen – welches natürlich nichts aufwiegen konnte, so viel war klar. Wehmütig lauschte der Boss den Klängen der Schallplatte.

    Christmas time is here again.
  • Du schreibst dir selber demütigende Kommentare?

    Naja, ich fand das mit den Rentieren doch ganz schön komisch. Gut, dass es nur ein Traum war, aber du hättest das auch weglassen können. Die Lektion für Gin ist eh das Wichtigste. Wobei, jetzt fällt mir ein, ohne die Rentiere wäre es vielleicht nicht weihnachtlich genug gewesen.

    Krass jedoch, dass du das alles an einem Tag zusammengebrezelt hast. Und du bist nicht schlecht im FF schreiben. Ich finde deinen Schreibstil gut.

    Allerdings hast du am Anfang mal "einen Rentier", oder "den Rentier" geschrieben. Da das Rentier neutrum ist, geht das nicht. Es müsste also ein Rentier, oder das Rentier heißen.

    So, das war alles. Habe nun sicher länger als eine halbe Stunde hieran gesessen. Und den Geburtstag von meinem Bruder verpasse ich sicher nicht. Der pennt noch. ^^
    :oclap: KONNICHI WA, MINNA SAAAAAAAAN!!! :oclap:
  • Och ich hab mich gut amüsiert bei der Geschichte.. ich stell mir grad vor wie Gin ausgesehen hat, mit seinen gefrorenen Haaren ala letztes Einhorn...xD. Ja, ein hart arbeitender Mensch, der nicht gleich wegen einer kleinen Erkältung krank macht, sondern seinen Job sehr ernst nimmt.. er wird mir immer sympatischer.. :D Schön war auch die Vorstellung, wie er seine Haare auswringen musste, weil er in das Wasser gefallen war..xD Ob er sich jemals eine Kurzhaarfrisur verpassen lässt? Ich glaubs ja irgendwie nicht.xD
  • Mal eine längere Geschichte, aber trotzdem gut.
    Den Teil mit dem Gin-wird-ein-Rentier-Traum fand ich aber etwas seltsam und auch ein wenig überflüssig. Das Gin wiedrum an einen Hinterhalt gegluabt hat und deshalb einen Umweg läuft war nachvollziehbar. Dass er das dann dreimal gemacht hat schiebe ich mal auf die Auswirkungen seiner Erkältung und der Schmerzen durch die Schusswunde (diese Tatsache hat mir gefallen, dass du damit die Handlung kurz auf den Zeitraum nach der ermordung Piscos gelegt hast), denn sonst wäre Gin glaube ich nicht dreimal diesen Umweg gelaufen. Zweimal hätte ich dann noch geglaubt aber dreimal wäre dann einmal zuviel gewesen.
    Auch das Ende war mir nicht klar verständlich, also wollte der Boss das Gin scheitert? Mir hätte es besser gefallen, wenn Gin sein Ziel einfach erfolgreich erschossen hätte^^
    Nichtsdestotrotz hast du eine gute Fanfic über Gin geschrieben. Es hat mir gefallen Gin mal bei einem Auftrag zu begleiten. Gutes Türchen (^_^)
    Ruhe und Gelassenheit, dazu noch Sorgfalt. Alles Eigenschaften meines Helden Holmes.

  • So, danke zunächst mal an all diejenigen, die sich getraut haben, den kompletten Text zu lesen, und anschließend das Ganze auch noch kommentiert haben.

    Aiko Hikari schrieb:

    Du schreibst dir selber demütigende Kommentare?
    Nein. Habe lediglich eine Anspielung aufgelöst, die im Text gar zu gut versteckt war. ^^
    Die Artikel sind übrigens richtig gesetzt, ansonsten wärs dann doch etwas zu verwirrend. Und der eine Tag ist ja nur die reine Schreibzeit. Konzept und Aufbau standen ja vorher schon komplett fest, musste also bloß noch ausformuliert werden.

    wutz1880 schrieb:

    Och ich hab mich gut amüsiert bei der Geschichte.
    Sieht so aus, als sei ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden. Das ist eine Gin-Geschichte, die sollte also kalt, hart und unbarmherzig sein – kein Raum für Humor. Freut mich trotzdem, wenn du dich amüsiert hast. :D

    Oli Kudo schrieb:

    etwas seltsam und auch ein wenig überflüssig
    Ja, den Teil mit den Rentieren hätte ich weglassen können. Dann wäre von der Geschichte aber nicht mehr als das Gerüst übrig geblieben. Die Rentiersequenz ist tatsächlich das Herz der Story. Die ganze Geschichte arbeitet auf diese Szene(n) hin, und im Gegenzug werden hier die Fragen beantwortet, die im Text zuvor aufgeworfen wurden. Ja, diese Stelle wirkt etwas seltsam, aber das darf sie, das muss sie sein. Türchen 23, diese Platzierung bietet einem die Möglichkeit, ein wenig zu experimentieren – und diese Freiheit habe ich gerne wahrgenommen. ^^

    Ich persönlich werde als Leser ja gerne etwas gefordert. Welchen Reiz bietet ein Rätsel, von dem man weiß, dass es am Ende ohnehin aufgelöst wird? Manchmal möchte man beim Lesen natürlich auch einfach nur abschalten, aber ich denke, diese Abwechslung tut diesem bunten Adventskalender ganz gut. Die Haupthandlung wird hier weiterhin ganz klassisch aufgelöst, aber zumindest die Nebenhandlungen werden nicht explizit aufgelöst. Als Autor ist das natürlich immer etwas schwierig zu beurteilen; ist das alles zu subtil oder doch eher viel zu offensichtlich? Für den Fall, dass der eine oder andere nach Weihnachten noch Adventskalendertürchen öffnet, darf gerne auch in diese Richtung Rückmeldung gegeben werden bzw. überhaupt erzählt werden, wie ihr die Geschichte verstanden habt. ^^
  • Ich muss sagen, die Geschichte war iwie ein bisschen verwirrend, aber dadurch auch iwie amüsant. Gin hätte einem fast leid tun können :D
    Interessant fand ich aber auch das Setting so nah am Piscofall (das dann ja in der einen Szene mit dem Weinkeller quasi nachgespielt wurde, was man auch als Verarbeitung der für Gin traumatischen Ereignisse sehen könnte, was mir gut gefällt :) ).
    Ich frage mich nur, wen der Kerl mit dem schütteren Haar darstellen sollte, Pisco vllt?
    Dieser Eisenstein hat für mich auch iwie was vom Weihnachtsmann gehabt, was dann auch erklären würde, warum der Boss eig nicht wirklich erwartet hatte, dass Gin den Auftrag ausführen kann. :)
    Sprachlich hat sie mir eig ganz gut gefallen, auch wenn mit teilweise einige Wörter wie "obgleich" unangenehm aufgefallen sind, weil ich die persönlich iwie so hochtrabend empfinde und deswegen nicht sonderlich mag ;D
    Alles in allem eine skurille, aber unterhaltsame Story :)
    Never play with the feelings of others
    because you may win the game
    but the risk is that you will surely
    lose the person for a life time
  • Ojala schrieb:

    Ich persönlich werde als Leser ja gerne etwas gefordert. Welchen Reiz bietet ein Rätsel, von dem man weiß, dass es am Ende ohnehin aufgelöst wird? Manchmal möchte man beim Lesen natürlich auch einfach nur abschalten, aber ich denke, diese Abwechslung tut diesem bunten Adventskalender ganz gut. Die Haupthandlung wird hier weiterhin ganz klassisch aufgelöst, aber zumindest die Nebenhandlungen werden nicht explizit aufgelöst. Als Autor ist das natürlich immer etwas schwierig zu beurteilen; ist das alles zu subtil oder doch eher viel zu offensichtlich? Für den Fall, dass der eine oder andere nach Weihnachten noch Adventskalendertürchen öffnet, darf gerne auch in diese Richtung Rückmeldung gegeben werden bzw. überhaupt erzählt werden, wie ihr die Geschichte verstanden habt. ^^
    Witzige Geschichte und ein ganz gelungenes Fensterchen. Bei der einen Szene musste ich sofort an die heute-show denken, da wurde die Idee der festgefrorenen Haare in einer der letzten Ausgaben auch aufgegriffen. :D Ich fand die Story ganz gut geschrieben und auch die Wortwahl und die Wortspielereien sehr passend. Das waren doch mindestens vier Wortspiele mit Rentier, aber ich habe sicher noch ein paar übersehen. Ich habe die Geschichte auch mehrmals lesen müssen, fand aber die Suche nach vermutlichen und vermeintlichen Anspielungen recht vergnüglich. Solche Rätsel könntest du doch auch mehr im Charakter-raten-Thread stellen. ^^
    Die Anspielungen sind mMn ein wenig subtil geraten, etwas mehr Offensichtlichkeit hätte meinem Lesevergnügen sicher nicht geschadet, aber dann wäre es wohl nicht mehr deine Fanfiction.^^ Die Haupthandlung war jedenfalls mMn noch am leichtesten zu verstehen (nicht nur wegen der Auflösung). Ansonsten rate ich mal fröhlich: Da ich mich vor Weihnachten mit Operetten herumschlagen durfte, musste ich bei Rentier Rudolph Eisenstein unweigerlich an Strauss denken. Dazu passt ja dann auch das Ende mit "Anokata". Die rothaarige Lady hat mich erst etwas irritiert, da ich natürlich auch wegen des Cocktails an Vermouth dachte. Allerdings passt da weder die Haarfarbe noch das Alter. Die Google-Suche brachte mich zur Leading Lady Irene Adler, die möglicherweise auch als Vorlage für Vermouth diente und dadurch tatsächlich für deren Beteiligung sorgt. Ansonsten fand ich es auch ganz amüsant, wie Gin den Cocktail herunterstürzt und später auch die Hilfe des Mannes (eigentlich dachte ich bei ihm wegen des Cocktails an Bourbon, aber auf keinen Fall an Akai, der hat unter seine Mütze sicher kein schütteres Haar) ablehnt.
    Bei der Nebenhandlung gehe ich mit koibito-san konform, ich hätte das auch als einen verarbeitenden Traum in Hinsicht auf seine gemeinsame Vergangenheit mit Sherry, ihrer erfolgreichen Flucht und seiner Abneigung zur Teamarbeit verstanden. Ansonsten tappe ich wirklich im Dunklen, gerade die Metamorphose stürzt mich in Verwirrung. Was an der Eisenstein-Episode löst wohl diese Fieber-/Betäubungsmittelphantasien in Gin aus? :wacko: