Halli, hallo meine Lieben!
Endspurt.....Wihnachten rückt näher und damit leider auch das Ebde unsere tollen Adventskalenders. Aber drei Türchen haben wir noch. Und hier kommt Türchen Nr. 22 von Cronal. Viel Freude beim Lesen.
..........
Zögerlich legte Shinichi seine rechte Hand auf die Türklinke. Auf der anderen Seite der beschlagenen Fensterscheiben wirbelten wild Schneeflocken umher und hüllten die Straßen Tokios in eine dicke Schicht Schnee. Für einen Moment überlegte er an der Tür zu klopfen, bis ihm schließlich wieder in den Sinn kam, was er hier eigentlich machte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, sein Herzschlag wurde schneller und pochte spürbar in seiner Brust.„Nicht jetzt Kudo..“, stachelte er sich selbst an, „So kurz vor dem Ende kannst du keinen Rückzieher mehr machen.“ Kurz zupfte er noch an seinem kratzigen Wollschal, ehe er die Türklinke schließlich sachte nach unten drückte. Fast lautlos schwang die graue Tür auf und gab den Raum dahinter frei. Es war einer dieser Büroräume, ein Schreibtisch in der Mitte, umrahmt von Regalen, Topfpflanzen und anderen Einrichtungsgegenständen. Viel mehr konnte Shinichi allerdings im Halbdunkel nicht erkennen. Aus einer Ecke des Raumes säuselte klassische Musik, ein paar Lichter der Wolkenkratzer blinkten, vom heftigen Schneefall untermalt, durch eine große Fensterfront auf der Rückseite des Raumes. Mit zugekniffenen Augen tastete er die Wand zu seiner Rechten nach einem Lichtschalter ab, instinktiv machte er einen Schritt nach vorne. Als die Lampe an der Decke des Raumes nach anfänglichem Flackern das Büro in warmes, gelbes Licht tauchte, zuckte Shinichi kurz zusammen.
Losgelöst vom Schleier der Dunkelheit saß eine Gestalt am Schreibtisch, die Hände gefaltet und das Gesicht hinter einer schlichten weißen Maske verborgen. Durch die schmalen Sehschlitze fixierten zwei kalte, bohrende Augen Shinichi, forderten ihn förmlich heraus. Abgestimmt auf die Maske trug die Gestalt einen dunkelgrauen Anzug, die sichtbaren schwarzen Haare waren fein säuberlich nach hinten gekämmt und untermauerten die absolute Erhabenheit, die von dieser Gestalt auszugehen schien. Shinichi machte einen weiteren Schritt nach vorne.
„Und sie sind..“, begann er vorahnend, die Gestalt löste jedoch ihre rechte Hand und deutete ihm mit einem Fingerzeig zu schweigen. „Natürlich bin ich das.“, ertönte ihre Stimme, trotz der Maske war sie klar verständlich. „Ich bin die Person, nach der unzählige Leute unzählige Jahre gesucht haben, gejagt von Geheimdiensten, Privatmännern und Männern des Staates, von Mächtigen und Reichen und solchen die es werden wollten.“ Mit der offenen Hand deutete die Gestalt in Richtung Shinichi, „Und von ihnen, junger Mann, gefunden. Setzen sie sich.“, lud die Stimme freundlich, doch auch befehlend ein.
Einen Augenblick lang zögerte Shinichi. Sein maskiertes Gegenüber schätzte er auf einen Mann mittleren Alters, auch wenn ihn die Maske etwas irritierte. Schließlich zog er einen Stuhl zu sich und setzte sich, ohne dabei den Maskierten aus den Augen zu lassen.
„Sie werden sicher einige Fragen haben?“, fuhr der Mann fort, wobei es eher nach Feststellung als nach Frage klang. Vom bohrenden Blick seines Gegenübers bedrängt, schluckte Shinichi, ehe er sich sammelte und selbst in die Offensive ging. „Zum Einen“, begann er schließlich, „Warum stellt sich das mächtigste Mitglied einer kriminellen Vereinigung, wenn es von ziemlich vielen Menschen fieberhaft verfolgt wird?“ Er hielt kurz inne, zog dann ein leichtes, selbstsicheres Grinsen. „Wenn ich bedenke, dass heute Weihnachten ist, löst sich die Frage nach der Maske wohl in Selbstverständlichkeit auf, meinen Sie nicht?“
„Das tut sie, Kudo-san“, antwortete die Gestalt mit erfreuter Stimme, wobei sie in vollen Zügen Shinichis erschrockene Reaktion auf die Erwähnung seines Nachnamens genoss. „Natürlich sind Sie mir ein Begriff, Kudo-san. Ich werde doch wohl den Namen der Person kennen, die alles zu Fall gebracht hat, was in Jahrzehnten erarbeitet wurde, die durch das angeblich beste Gift aus unserer Entwicklung geschrumpft wurde und seit einigen Tagen wieder in alter Gestalt durch die Weltgeschichte spaziert. Sorgen sie sich nicht, ich trachte ihnen keinesfalls nach dem Leben.“ Die maskierte Gestalt faltete ihre Hände, ließ ihre Worte wirken.
„Sie haben recht, was die Maske angeht. Selbst Menschen in meiner Position sind nur Menschen, denen etwas am Gedanken der Weihnacht liegt. Was ich Ihnen anbiete, ist ein Geschenk, Kudo-san, ein Geschenk, das Sie ohne jeglichen Zweifel annehmen werden.“, die Gestalt hielt kurz inne, fuhr dann jedoch unverzüglich fort, „Wessen Gesicht liegt hinter dieser Maske, welcher Person haben Sie und Ihre Verbündeten nachgehetzt, ohne auch nur einen Funken Gewissheit zu haben, mit wem Sie sich anlegen? Wer bin ich.... den Sie Anokata nennen?“
Für wenige Sekunden, die Shinichi mehr wie zäh vorbeilaufende Stunden vorkamen, lag eine unheimliche Stille über dem Raum. Es war, als durchlebte er dieses Gefühl von Hochspannung, ungewisser Vorahnung und Abenteuerlust, das ihn zum ersten mal im Tropical Land befallen hatte, damals als er... Als er geschrumpft wurde. Als sich sein Weg mit denen gekreuzt hatte, die Schwarz trugen, die sein Leben aus üblichen Bahnen geworfen hatten – und jetzt saß er dem gegenüber, der für all dies verantwortlich war. Sein Grinsen festigte sich, und seine Zuversicht tat es ihm nach.
„Wie könnte ich so etwas ablehnen?“, gab Shinichi belustigt von sich, „Bloß... was ist der Haken an der Sache? Es muss einfach einen Haken geben.“
„Korrekt, den gibt es selbstverständlich.“, antwortete ihm der Maskierte auf der Stelle, „Sie werden sich meine Identität erspielen müssen... In einer Partie Schach.“ Ohne jegliche Reaktion abzuwarten zog die Gestalt bereits ein Schachbrett zu sich. Mit gefalteten Händen saß sie da, ihr Blick schien stetig zwischen dem Brett und Shinichi hin und her zu springen, fixierten die kalten Augen mit gebieterischer Schärfe den Schülerdetektiven, schienen sie ihn förmlich zu seiner Zustimmung zwingen zu wollen.
Schließlich schnaufte Shinichi leise aus, ohne jedoch sein Grinsen zu verlieren, voller Tatendrang erwiderte er die kalten Blicke. „Es gibt auch die Art von Haken, die man lieben muss!“, grinste er sein Gegenüber erfreut an, „Und nichts ist besser als das Spiel der Könige, mit dem sich bereits Holmes und Moriarty duelliert haben!“ Herausfordernd tippte mit dem Zeigefinger auf den Rand des Schachbrettes. „Ich bezweifle, dass Sie jemandem außer mir so ein Angebot gemacht hätten.“, stellte er fest, während die maskierte Gestalt bereits begann, die ersten Schachfiguren auf das Brett zu stellen. Jedes mal klackte es, wenn eine der metallenen Figuren auf dem Brett ihren Platz auf dem richtigen Feld fand. Shinichi war sich nicht sicher, ob er eine Antwort zu erwarten hatte, und gerade als er seine Behauptung ausführen wollte, tönte wieder die Stimme unter der Maske hervor.
„Ich bezweifle eher, dass mich außer Ihnen jemand hätte finden können, Kudo-san.“Ein letztes mal ertönte ein Klacken, als die Gestalt die schwarze Königin auf ihr Feld setzte, „Und nun sollten wir beginnen, Sie werden an Heiligabend sicher noch etwas anderes vorhaben.“
Mit seinem ersten Zug schob Shinichi einen weißen Bauern ein Feld nach vorne. Schach hatte er früher oft mit und gegen seinen Vater gespielt, und er hätte sich auch nicht als schlechter Spieler bezeichnet – aber seinen Gegner konnte er kaum einschätzen. Es war nur klar, es würde nicht einfach werden. Der Maskierte zog einen seiner schwarzen Bauern vor. „Wissen Sie, Kudo-san, seit Sie damals Gin über den Weg gelaufen sind, haben wir auf sehr interessante Weise schon einmal Schach gespielt.“ „Haben wir das?“, fragte Shinichi, die nächste Figur verschiebend. „Haben wir. Nach einiger Zeit merkte ich, dass viele meiner Untergebenen... Schachfiguren gleichkommen, die ich aufs Feld schicke und mit Bedacht ziehen muss.“ Ein weiteres Klacken folgte, ein weiterer weißer Bauer.
„Gin und Wodka...“, murmelte Shinichi, „König... und Turm. Korrekt?“ „Korrekt“, antwortete die Maske beim Ziehen. „Im Schachspiel können König und Turm allein den gegnerischen König zu Fall bringen, und das haben Beide lange Jahre mit meinen Gegnern gemacht. Gin war wie der König die wichtigste Figur im Spiel... fällt er, ist das Spiel verloren.“, er hielt kurz inne, „und Gin ist gefallen, in gewisser Art und Weise. Sie haben selbst gesehen, was Akai mit ihm... angestellt hat. Aber das soll nicht Gegenstand unseres Duells sein.“
Shinichi spielte den nächsten Zug, schlug mit seinem Springer einen Bauern. „Es ist wohl offensichtlich, weswegen Sie Wodka als Turm gesehen haben.“, stellte er in seine Gedanken vertieft fest. Hier ging es mehr als nur um die Identität einer einzigen Person. Auch wenn kein Wort der Drohung gefallen war, in jedem Blick, in jeder Geste lag etwas, das er als Gefahr deutete. Ein falscher Schritt, ein unbedachter Zug, und - da war er sich sicher - es würde ihm etwas zustoßen. Diese Vorahnung hatte ihn neben seinem Anstand auch gehindert, dem Maskierten einfach die Maske vom Kopf zu reißen. Solcherlei Gedanken schwirrten in seinem Verstand herum, ließen ihn nicht los und störten seine Überlegungen zu den Schachzügen, die er spielen wollte. War es vielleicht sogar Absicht, diese Angst? War das Bedrohlichste vielleicht nicht einfach diese maskierte Gestalt?
„Kudo-san, möchten Sie nicht ziehen?“, riss ihn diese kalte Stimme wieder aus seinen Gedanken. Shinichi stieß einen Schwall Luft aus und zog einen weißen Springer nach vorne.
„Der Springer“, stellte der Maskierte fest, „Eine meiner ersten Schachfiguren, die fallen musste. Und zum Fall gebracht hat sie der eigene König.“ „Pisco.“, folgerte Shinichi, „Ich erinnere mich. Von Gin erschossen, weil er sich zu viele Fehler erlaubt hatte. Sie sind ein grausamer Mensch, aus solchen Gründen morden zu lassen.“ Ungerührt schob der Maskierte seine schwarze Königin zur Seite. „Es hängt vom Betrachter ab, was grausam ist und was nicht. Manchmal muss man Figuren opfern, um weiterspielen zu können.“
Shinichi hielt kurz inne. „Es ist erbärmlich, wie Sie von Menschenleben reden, als seien sie Dinge, die man einfach loswerden kann, wenn man ihrer überdrüssig ist.“, mühte er sich, sachlich zu antworten, ehe er einen weiteren Zug machte. Für einige Züge herrschte eine gespannte Wortlosigkeit, die von klassischer Musik gesättigte Luft schien beinahe zum Zerreißen gespannt.
„Würde ich jeder Person nachtrauern, die ich im Laufe der Jahrzehnte verlieren musste... aufgeben musste... ich würde heute noch trauern. So herzlos es klingt, aber in meiner Position darf man nicht nach hinten schauen.“, antwortete die Gestalt. Zum ersten Mal schien ihrer Stimme diese Kälte, diese Schärfe zu fehlen. „Nichtsdestotrotz spielen wir hier um andere Dinge als meine Vergangenheit. Zu dieser kann Ihnen die Königin sicher mehr sagen...“ Unschlüssig wartete Shinichi auf einen weiteren Satz, ein weiteres Wort, doch anscheinend war es an ihm, die Gedanken der Gestalt weiterzuführen. „Vermouth.“, sprach er langsam aus, eine Mischung aus Verwünschung und Anerkennung begleiteten den Flüsterton seiner Stimme. „Die Figur der Königin ist diejenige, die auf dem Feld beliebig weit ziehen kann, zudem problemlos in jede Richtung, die es beim Schach gibt. Auf wen würde das zutreffen, wenn nicht Vermouth?“ Beiläufig zog er einige Felder mit dem Springer. Sein Gegenüber hatte wieder die Hände gefaltet, diese Pose, die in Verbindung mit der schlichten Maske Shinichis Gegenüber als einziges Rätsel erschienen ließ. Und so war es bis zu jenem Abend auch gewesen: Anokata, das gestaltlose Rätsel an der Spitze der schwarzen Organisation.
„Zweimal hat sie die Seiten gewechselt, erst die Organisation und dann das FBI verraten.“, fuhr Shinichi nach dem Zug des Maskierten fort, „Und dabei hat sie Einiges an Schäden verursacht.“ Ein weiteres Klacken, ein weiterer Zug. „Ich hatte es jahrelang befürchtet.“, stellte die Stimme unter der Maske fest, „Trotzdem kann ich nachvollziehen, was sie zu ihrem Verrat bewegt hat. Die Gründe wird sie Ihnen sicher auch schon gesagt haben, das müssen wir nicht näher erörtern.“ Das nächste Klacken.
Es war, als hätte sich ihr Schachspiel, ihr Duell im Spiel der Könige, von allen zeitlichen Einflüssen losgelöst; Shinichi konnte nicht sagen, ob er sich eben erst an diesen Schreibtisch gesetzt hatte oder bereits seit Tagen dort saß, diesem maskierten Mysterium gegenüber, während draußen der Schneesturm durch die Häuserschluchten der Großstadt peitschte. Inzwischen hatten sich die Reihen der Schachfiguren gelichtet. Sowohl Shinichi als auch sein Gegner, den er lange Zeit nur als vage Erscheinung unter dem Namen Anokata gekannt hatte, hatten die meisten ihrer Bauern verloren, doch die wirklich wichtigen Figuren waren größtenteils noch auf dem Schachbrett vorhanden. Die Gestalt zog einen schwarzen Springer nach vorne, Shinichi reagierte mit einem Läufer, den er einige Felder weiterschob.
„Als sich abzeichnete, dass die Organisation im Sterben lag, verließ auch der zweite Springer das Spielfeld in Richtung FBI...“, fuhr der Maskierte nach Momenten der Stille fort, „Anstatt Treue serviert man mir Verrat und Betrug, kaum droht das Schiff auf Grund zu laufen!“ Auch wenn es nur ein Hauch von zorniger Regung war, die Shinichi in der Stimme der Gestalt ausmachen konnte, brodelte es unter der Maske selbst wohl gewaltig, da war er sich sicher. Die Gedanken auf das Spiel gerichtet schlug er mit seinem Läufer einen schwarzen Turm seines Gegenübers.
„Der zweite Springer....“, grinste der Schülerdetektiv herausfordernd, „Bourbon. Dieses Spiel mit dreifachem Boden war eine echte Meisterleistung. Was im Mystery-Train passierte war zu offensichtlich, wie wir feststellen mussten, und das Verwirrspiel mit Amuro, Okiya und dieser dritten Person...“ „Selbst ich habe mich täuschen lassen“, gestand die Gestalt ein, „Dieser hinterlistige Kerl hat einfach jeden um den Finger gewickelt.“ Es war ein Fehler, ihn überhaupt aufzunehmen, aber jetzt noch die Fehler zu suchen...“
Wieder schwiegen sich die beiden Kontrahenten an. Wortlos tauschten sie ein paar Züge, das Schachbrett leerte sich mehr und mehr. Gerade als Shinichi einen Läufer zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, ihn vielversprechend ziehen wollte, kam ihm etwas in den Sinn.
„Ich mutmaße hier nur..“, begann Shinichi, „Aber für die Läufer bieten sich wohl Korn und Chianti bestens an. Im Italienischen bezeichnet man die Läufer auch gerne als Sagittifer, als Schützen.“ „Bis zu den Vorfällen in Yokohama gehörten sie zu den Besten, die ich hatte. Aber dann musste der abtrünnige Rye wieder von den Toten auferstehen und Nagel für den Sarg der Organisation spielen. Ich wundere mich immer noch, dass er ihre Festnahmen zugelassen hat, anstatt sich mit den Beiden... auf seine Art und Weise zu unterhalten.“
„Akai hatte andere Sorgen als zwei Scharfschützen, die von ihrem Boss weder Name noch Aussehen kannten.“, erwiderte Shinichi, „Nach den Schusswechseln in Yokohama galt es für ihn nur noch, Gin in die Finger zu bekommen, der den Rest zurückgelassen hatte..“
Ein weiteres Klacken, eine weitere schwarze Schachfigur musste das Spielfeld verlassen. Diesmal ein Läufer. Inzwischen mühte sich Shinichi, dauerhaft, seine Gedanken auf das Spiel zu fixieren. Immer wieder schweiften sie ab zu den Ereignissen, die sich in den letzten Wochen und Tagen abgespielt hatten: Das Gegengift, die Überläufer zum FBI, der Sturz der Organisation, Vermouths spurloses Verschwinden wenig später, Gins Ergreifung durch Akai... viel zu viel, als dass es der Verstand während eines Schachspiels von höchster Bedeutung ohne weiteres Verarbeiten könnte.
„Kudo-san, lassen Sie mich nochmal auf Ihre erste Frage zurückkommen.“, tönte die Stimme des Maskierten, „Warum stelle ich mich Ihnen? Es ist eine Tatsache, dass meine Organisation am Ende steht, das wissen Sie, immerhin haben Sie Ihren Fall so sehr bewirkt wie kein Anderer... Sehen Sie es als Ehre an, die ich Ihnen erweise: Sie, Shinichi Kudo, der Schülerdetektiv, haben den demaskiert, den man als Anokata bezeichnete! Das wollten Sie von Anfang an, nicht wahr?“ „Von Anfang an wollte ich wissen, wer die Fäden zieht, welche Person für so viel Leid verantwortlich ist..“, grinsend zog er seinen König vor, „Und diese Person demaskiere ich hier und jetzt. Schach.“
Die Gestalt zögerte einen Moment, ihr Blick schien kurz am Schachbrett zu haften, ehe sie wieder ihren Fokus auf Shinichi legte. „Es hat keinen Sinn mehr, sich noch zu wehren. Sie, Kudo-san, dürfen sich eindeutig eines unsterblichen Sieges rühmen.“
„Dann... nehmen sie die Maske ab und kommen sie ihrem Geschenk, ihrem Angebot nach.“, strahlte Shinichi. Wieder pochte sein Herz in der Brust, doch war es mehr die Aufregung, die Gefühle des Triumphs und Sieges, die Euphorie. Beide Hände an die Ränder der Maske gelegt räusperte sich die Gestalt. „So geht es wohl zu Ende? Seien Sie sich jedoch gewahr, dass selbst ich nicht all Ihre Fragen beantworten kann, die in den letzten Monaten aufgeworfen wurden. Mein Gesicht birgt nicht jede Antwort...“ In einer zögerlichen Bewegung lösten die beiden Hände die Maske vom Gesicht der Gestalt. „So lange haben Sie nach mir gesucht, Kudo-san..“, sagte sie noch, „Doch ich denke, wir kennen uns bereits.“
Draußen hatte sich der starke Wind gelegt, und leise rieselte der Schnee.
Endspurt.....Wihnachten rückt näher und damit leider auch das Ebde unsere tollen Adventskalenders. Aber drei Türchen haben wir noch. Und hier kommt Türchen Nr. 22 von Cronal. Viel Freude beim Lesen.
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Zögerlich legte Shinichi seine rechte Hand auf die Türklinke. Auf der anderen Seite der beschlagenen Fensterscheiben wirbelten wild Schneeflocken umher und hüllten die Straßen Tokios in eine dicke Schicht Schnee. Für einen Moment überlegte er an der Tür zu klopfen, bis ihm schließlich wieder in den Sinn kam, was er hier eigentlich machte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, sein Herzschlag wurde schneller und pochte spürbar in seiner Brust.„Nicht jetzt Kudo..“, stachelte er sich selbst an, „So kurz vor dem Ende kannst du keinen Rückzieher mehr machen.“ Kurz zupfte er noch an seinem kratzigen Wollschal, ehe er die Türklinke schließlich sachte nach unten drückte. Fast lautlos schwang die graue Tür auf und gab den Raum dahinter frei. Es war einer dieser Büroräume, ein Schreibtisch in der Mitte, umrahmt von Regalen, Topfpflanzen und anderen Einrichtungsgegenständen. Viel mehr konnte Shinichi allerdings im Halbdunkel nicht erkennen. Aus einer Ecke des Raumes säuselte klassische Musik, ein paar Lichter der Wolkenkratzer blinkten, vom heftigen Schneefall untermalt, durch eine große Fensterfront auf der Rückseite des Raumes. Mit zugekniffenen Augen tastete er die Wand zu seiner Rechten nach einem Lichtschalter ab, instinktiv machte er einen Schritt nach vorne. Als die Lampe an der Decke des Raumes nach anfänglichem Flackern das Büro in warmes, gelbes Licht tauchte, zuckte Shinichi kurz zusammen.
Losgelöst vom Schleier der Dunkelheit saß eine Gestalt am Schreibtisch, die Hände gefaltet und das Gesicht hinter einer schlichten weißen Maske verborgen. Durch die schmalen Sehschlitze fixierten zwei kalte, bohrende Augen Shinichi, forderten ihn förmlich heraus. Abgestimmt auf die Maske trug die Gestalt einen dunkelgrauen Anzug, die sichtbaren schwarzen Haare waren fein säuberlich nach hinten gekämmt und untermauerten die absolute Erhabenheit, die von dieser Gestalt auszugehen schien. Shinichi machte einen weiteren Schritt nach vorne.
„Und sie sind..“, begann er vorahnend, die Gestalt löste jedoch ihre rechte Hand und deutete ihm mit einem Fingerzeig zu schweigen. „Natürlich bin ich das.“, ertönte ihre Stimme, trotz der Maske war sie klar verständlich. „Ich bin die Person, nach der unzählige Leute unzählige Jahre gesucht haben, gejagt von Geheimdiensten, Privatmännern und Männern des Staates, von Mächtigen und Reichen und solchen die es werden wollten.“ Mit der offenen Hand deutete die Gestalt in Richtung Shinichi, „Und von ihnen, junger Mann, gefunden. Setzen sie sich.“, lud die Stimme freundlich, doch auch befehlend ein.
Einen Augenblick lang zögerte Shinichi. Sein maskiertes Gegenüber schätzte er auf einen Mann mittleren Alters, auch wenn ihn die Maske etwas irritierte. Schließlich zog er einen Stuhl zu sich und setzte sich, ohne dabei den Maskierten aus den Augen zu lassen.
„Sie werden sicher einige Fragen haben?“, fuhr der Mann fort, wobei es eher nach Feststellung als nach Frage klang. Vom bohrenden Blick seines Gegenübers bedrängt, schluckte Shinichi, ehe er sich sammelte und selbst in die Offensive ging. „Zum Einen“, begann er schließlich, „Warum stellt sich das mächtigste Mitglied einer kriminellen Vereinigung, wenn es von ziemlich vielen Menschen fieberhaft verfolgt wird?“ Er hielt kurz inne, zog dann ein leichtes, selbstsicheres Grinsen. „Wenn ich bedenke, dass heute Weihnachten ist, löst sich die Frage nach der Maske wohl in Selbstverständlichkeit auf, meinen Sie nicht?“
„Das tut sie, Kudo-san“, antwortete die Gestalt mit erfreuter Stimme, wobei sie in vollen Zügen Shinichis erschrockene Reaktion auf die Erwähnung seines Nachnamens genoss. „Natürlich sind Sie mir ein Begriff, Kudo-san. Ich werde doch wohl den Namen der Person kennen, die alles zu Fall gebracht hat, was in Jahrzehnten erarbeitet wurde, die durch das angeblich beste Gift aus unserer Entwicklung geschrumpft wurde und seit einigen Tagen wieder in alter Gestalt durch die Weltgeschichte spaziert. Sorgen sie sich nicht, ich trachte ihnen keinesfalls nach dem Leben.“ Die maskierte Gestalt faltete ihre Hände, ließ ihre Worte wirken.
„Sie haben recht, was die Maske angeht. Selbst Menschen in meiner Position sind nur Menschen, denen etwas am Gedanken der Weihnacht liegt. Was ich Ihnen anbiete, ist ein Geschenk, Kudo-san, ein Geschenk, das Sie ohne jeglichen Zweifel annehmen werden.“, die Gestalt hielt kurz inne, fuhr dann jedoch unverzüglich fort, „Wessen Gesicht liegt hinter dieser Maske, welcher Person haben Sie und Ihre Verbündeten nachgehetzt, ohne auch nur einen Funken Gewissheit zu haben, mit wem Sie sich anlegen? Wer bin ich.... den Sie Anokata nennen?“
Für wenige Sekunden, die Shinichi mehr wie zäh vorbeilaufende Stunden vorkamen, lag eine unheimliche Stille über dem Raum. Es war, als durchlebte er dieses Gefühl von Hochspannung, ungewisser Vorahnung und Abenteuerlust, das ihn zum ersten mal im Tropical Land befallen hatte, damals als er... Als er geschrumpft wurde. Als sich sein Weg mit denen gekreuzt hatte, die Schwarz trugen, die sein Leben aus üblichen Bahnen geworfen hatten – und jetzt saß er dem gegenüber, der für all dies verantwortlich war. Sein Grinsen festigte sich, und seine Zuversicht tat es ihm nach.
„Wie könnte ich so etwas ablehnen?“, gab Shinichi belustigt von sich, „Bloß... was ist der Haken an der Sache? Es muss einfach einen Haken geben.“
„Korrekt, den gibt es selbstverständlich.“, antwortete ihm der Maskierte auf der Stelle, „Sie werden sich meine Identität erspielen müssen... In einer Partie Schach.“ Ohne jegliche Reaktion abzuwarten zog die Gestalt bereits ein Schachbrett zu sich. Mit gefalteten Händen saß sie da, ihr Blick schien stetig zwischen dem Brett und Shinichi hin und her zu springen, fixierten die kalten Augen mit gebieterischer Schärfe den Schülerdetektiven, schienen sie ihn förmlich zu seiner Zustimmung zwingen zu wollen.
Schließlich schnaufte Shinichi leise aus, ohne jedoch sein Grinsen zu verlieren, voller Tatendrang erwiderte er die kalten Blicke. „Es gibt auch die Art von Haken, die man lieben muss!“, grinste er sein Gegenüber erfreut an, „Und nichts ist besser als das Spiel der Könige, mit dem sich bereits Holmes und Moriarty duelliert haben!“ Herausfordernd tippte mit dem Zeigefinger auf den Rand des Schachbrettes. „Ich bezweifle, dass Sie jemandem außer mir so ein Angebot gemacht hätten.“, stellte er fest, während die maskierte Gestalt bereits begann, die ersten Schachfiguren auf das Brett zu stellen. Jedes mal klackte es, wenn eine der metallenen Figuren auf dem Brett ihren Platz auf dem richtigen Feld fand. Shinichi war sich nicht sicher, ob er eine Antwort zu erwarten hatte, und gerade als er seine Behauptung ausführen wollte, tönte wieder die Stimme unter der Maske hervor.
„Ich bezweifle eher, dass mich außer Ihnen jemand hätte finden können, Kudo-san.“Ein letztes mal ertönte ein Klacken, als die Gestalt die schwarze Königin auf ihr Feld setzte, „Und nun sollten wir beginnen, Sie werden an Heiligabend sicher noch etwas anderes vorhaben.“
Mit seinem ersten Zug schob Shinichi einen weißen Bauern ein Feld nach vorne. Schach hatte er früher oft mit und gegen seinen Vater gespielt, und er hätte sich auch nicht als schlechter Spieler bezeichnet – aber seinen Gegner konnte er kaum einschätzen. Es war nur klar, es würde nicht einfach werden. Der Maskierte zog einen seiner schwarzen Bauern vor. „Wissen Sie, Kudo-san, seit Sie damals Gin über den Weg gelaufen sind, haben wir auf sehr interessante Weise schon einmal Schach gespielt.“ „Haben wir das?“, fragte Shinichi, die nächste Figur verschiebend. „Haben wir. Nach einiger Zeit merkte ich, dass viele meiner Untergebenen... Schachfiguren gleichkommen, die ich aufs Feld schicke und mit Bedacht ziehen muss.“ Ein weiteres Klacken folgte, ein weiterer weißer Bauer.
„Gin und Wodka...“, murmelte Shinichi, „König... und Turm. Korrekt?“ „Korrekt“, antwortete die Maske beim Ziehen. „Im Schachspiel können König und Turm allein den gegnerischen König zu Fall bringen, und das haben Beide lange Jahre mit meinen Gegnern gemacht. Gin war wie der König die wichtigste Figur im Spiel... fällt er, ist das Spiel verloren.“, er hielt kurz inne, „und Gin ist gefallen, in gewisser Art und Weise. Sie haben selbst gesehen, was Akai mit ihm... angestellt hat. Aber das soll nicht Gegenstand unseres Duells sein.“
Shinichi spielte den nächsten Zug, schlug mit seinem Springer einen Bauern. „Es ist wohl offensichtlich, weswegen Sie Wodka als Turm gesehen haben.“, stellte er in seine Gedanken vertieft fest. Hier ging es mehr als nur um die Identität einer einzigen Person. Auch wenn kein Wort der Drohung gefallen war, in jedem Blick, in jeder Geste lag etwas, das er als Gefahr deutete. Ein falscher Schritt, ein unbedachter Zug, und - da war er sich sicher - es würde ihm etwas zustoßen. Diese Vorahnung hatte ihn neben seinem Anstand auch gehindert, dem Maskierten einfach die Maske vom Kopf zu reißen. Solcherlei Gedanken schwirrten in seinem Verstand herum, ließen ihn nicht los und störten seine Überlegungen zu den Schachzügen, die er spielen wollte. War es vielleicht sogar Absicht, diese Angst? War das Bedrohlichste vielleicht nicht einfach diese maskierte Gestalt?
„Kudo-san, möchten Sie nicht ziehen?“, riss ihn diese kalte Stimme wieder aus seinen Gedanken. Shinichi stieß einen Schwall Luft aus und zog einen weißen Springer nach vorne.
„Der Springer“, stellte der Maskierte fest, „Eine meiner ersten Schachfiguren, die fallen musste. Und zum Fall gebracht hat sie der eigene König.“ „Pisco.“, folgerte Shinichi, „Ich erinnere mich. Von Gin erschossen, weil er sich zu viele Fehler erlaubt hatte. Sie sind ein grausamer Mensch, aus solchen Gründen morden zu lassen.“ Ungerührt schob der Maskierte seine schwarze Königin zur Seite. „Es hängt vom Betrachter ab, was grausam ist und was nicht. Manchmal muss man Figuren opfern, um weiterspielen zu können.“
Shinichi hielt kurz inne. „Es ist erbärmlich, wie Sie von Menschenleben reden, als seien sie Dinge, die man einfach loswerden kann, wenn man ihrer überdrüssig ist.“, mühte er sich, sachlich zu antworten, ehe er einen weiteren Zug machte. Für einige Züge herrschte eine gespannte Wortlosigkeit, die von klassischer Musik gesättigte Luft schien beinahe zum Zerreißen gespannt.
„Würde ich jeder Person nachtrauern, die ich im Laufe der Jahrzehnte verlieren musste... aufgeben musste... ich würde heute noch trauern. So herzlos es klingt, aber in meiner Position darf man nicht nach hinten schauen.“, antwortete die Gestalt. Zum ersten Mal schien ihrer Stimme diese Kälte, diese Schärfe zu fehlen. „Nichtsdestotrotz spielen wir hier um andere Dinge als meine Vergangenheit. Zu dieser kann Ihnen die Königin sicher mehr sagen...“ Unschlüssig wartete Shinichi auf einen weiteren Satz, ein weiteres Wort, doch anscheinend war es an ihm, die Gedanken der Gestalt weiterzuführen. „Vermouth.“, sprach er langsam aus, eine Mischung aus Verwünschung und Anerkennung begleiteten den Flüsterton seiner Stimme. „Die Figur der Königin ist diejenige, die auf dem Feld beliebig weit ziehen kann, zudem problemlos in jede Richtung, die es beim Schach gibt. Auf wen würde das zutreffen, wenn nicht Vermouth?“ Beiläufig zog er einige Felder mit dem Springer. Sein Gegenüber hatte wieder die Hände gefaltet, diese Pose, die in Verbindung mit der schlichten Maske Shinichis Gegenüber als einziges Rätsel erschienen ließ. Und so war es bis zu jenem Abend auch gewesen: Anokata, das gestaltlose Rätsel an der Spitze der schwarzen Organisation.
„Zweimal hat sie die Seiten gewechselt, erst die Organisation und dann das FBI verraten.“, fuhr Shinichi nach dem Zug des Maskierten fort, „Und dabei hat sie Einiges an Schäden verursacht.“ Ein weiteres Klacken, ein weiterer Zug. „Ich hatte es jahrelang befürchtet.“, stellte die Stimme unter der Maske fest, „Trotzdem kann ich nachvollziehen, was sie zu ihrem Verrat bewegt hat. Die Gründe wird sie Ihnen sicher auch schon gesagt haben, das müssen wir nicht näher erörtern.“ Das nächste Klacken.
Es war, als hätte sich ihr Schachspiel, ihr Duell im Spiel der Könige, von allen zeitlichen Einflüssen losgelöst; Shinichi konnte nicht sagen, ob er sich eben erst an diesen Schreibtisch gesetzt hatte oder bereits seit Tagen dort saß, diesem maskierten Mysterium gegenüber, während draußen der Schneesturm durch die Häuserschluchten der Großstadt peitschte. Inzwischen hatten sich die Reihen der Schachfiguren gelichtet. Sowohl Shinichi als auch sein Gegner, den er lange Zeit nur als vage Erscheinung unter dem Namen Anokata gekannt hatte, hatten die meisten ihrer Bauern verloren, doch die wirklich wichtigen Figuren waren größtenteils noch auf dem Schachbrett vorhanden. Die Gestalt zog einen schwarzen Springer nach vorne, Shinichi reagierte mit einem Läufer, den er einige Felder weiterschob.
„Als sich abzeichnete, dass die Organisation im Sterben lag, verließ auch der zweite Springer das Spielfeld in Richtung FBI...“, fuhr der Maskierte nach Momenten der Stille fort, „Anstatt Treue serviert man mir Verrat und Betrug, kaum droht das Schiff auf Grund zu laufen!“ Auch wenn es nur ein Hauch von zorniger Regung war, die Shinichi in der Stimme der Gestalt ausmachen konnte, brodelte es unter der Maske selbst wohl gewaltig, da war er sich sicher. Die Gedanken auf das Spiel gerichtet schlug er mit seinem Läufer einen schwarzen Turm seines Gegenübers.
„Der zweite Springer....“, grinste der Schülerdetektiv herausfordernd, „Bourbon. Dieses Spiel mit dreifachem Boden war eine echte Meisterleistung. Was im Mystery-Train passierte war zu offensichtlich, wie wir feststellen mussten, und das Verwirrspiel mit Amuro, Okiya und dieser dritten Person...“ „Selbst ich habe mich täuschen lassen“, gestand die Gestalt ein, „Dieser hinterlistige Kerl hat einfach jeden um den Finger gewickelt.“ Es war ein Fehler, ihn überhaupt aufzunehmen, aber jetzt noch die Fehler zu suchen...“
Wieder schwiegen sich die beiden Kontrahenten an. Wortlos tauschten sie ein paar Züge, das Schachbrett leerte sich mehr und mehr. Gerade als Shinichi einen Läufer zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, ihn vielversprechend ziehen wollte, kam ihm etwas in den Sinn.
„Ich mutmaße hier nur..“, begann Shinichi, „Aber für die Läufer bieten sich wohl Korn und Chianti bestens an. Im Italienischen bezeichnet man die Läufer auch gerne als Sagittifer, als Schützen.“ „Bis zu den Vorfällen in Yokohama gehörten sie zu den Besten, die ich hatte. Aber dann musste der abtrünnige Rye wieder von den Toten auferstehen und Nagel für den Sarg der Organisation spielen. Ich wundere mich immer noch, dass er ihre Festnahmen zugelassen hat, anstatt sich mit den Beiden... auf seine Art und Weise zu unterhalten.“
„Akai hatte andere Sorgen als zwei Scharfschützen, die von ihrem Boss weder Name noch Aussehen kannten.“, erwiderte Shinichi, „Nach den Schusswechseln in Yokohama galt es für ihn nur noch, Gin in die Finger zu bekommen, der den Rest zurückgelassen hatte..“
Ein weiteres Klacken, eine weitere schwarze Schachfigur musste das Spielfeld verlassen. Diesmal ein Läufer. Inzwischen mühte sich Shinichi, dauerhaft, seine Gedanken auf das Spiel zu fixieren. Immer wieder schweiften sie ab zu den Ereignissen, die sich in den letzten Wochen und Tagen abgespielt hatten: Das Gegengift, die Überläufer zum FBI, der Sturz der Organisation, Vermouths spurloses Verschwinden wenig später, Gins Ergreifung durch Akai... viel zu viel, als dass es der Verstand während eines Schachspiels von höchster Bedeutung ohne weiteres Verarbeiten könnte.
„Kudo-san, lassen Sie mich nochmal auf Ihre erste Frage zurückkommen.“, tönte die Stimme des Maskierten, „Warum stelle ich mich Ihnen? Es ist eine Tatsache, dass meine Organisation am Ende steht, das wissen Sie, immerhin haben Sie Ihren Fall so sehr bewirkt wie kein Anderer... Sehen Sie es als Ehre an, die ich Ihnen erweise: Sie, Shinichi Kudo, der Schülerdetektiv, haben den demaskiert, den man als Anokata bezeichnete! Das wollten Sie von Anfang an, nicht wahr?“ „Von Anfang an wollte ich wissen, wer die Fäden zieht, welche Person für so viel Leid verantwortlich ist..“, grinsend zog er seinen König vor, „Und diese Person demaskiere ich hier und jetzt. Schach.“
Die Gestalt zögerte einen Moment, ihr Blick schien kurz am Schachbrett zu haften, ehe sie wieder ihren Fokus auf Shinichi legte. „Es hat keinen Sinn mehr, sich noch zu wehren. Sie, Kudo-san, dürfen sich eindeutig eines unsterblichen Sieges rühmen.“
„Dann... nehmen sie die Maske ab und kommen sie ihrem Geschenk, ihrem Angebot nach.“, strahlte Shinichi. Wieder pochte sein Herz in der Brust, doch war es mehr die Aufregung, die Gefühle des Triumphs und Sieges, die Euphorie. Beide Hände an die Ränder der Maske gelegt räusperte sich die Gestalt. „So geht es wohl zu Ende? Seien Sie sich jedoch gewahr, dass selbst ich nicht all Ihre Fragen beantworten kann, die in den letzten Monaten aufgeworfen wurden. Mein Gesicht birgt nicht jede Antwort...“ In einer zögerlichen Bewegung lösten die beiden Hände die Maske vom Gesicht der Gestalt. „So lange haben Sie nach mir gesucht, Kudo-san..“, sagte sie noch, „Doch ich denke, wir kennen uns bereits.“
Draußen hatte sich der starke Wind gelegt, und leise rieselte der Schnee.