Türchen Nr. 15

Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

  • Türchen Nr. 15

    Guten Morgen allerseits und einen schönen Samstag. Oder muss heute etwa jemand arbeiten? Feute ist der 15. Dezember und darum gibt's heute das 15. Türchen in unserem Adventskalender. Dieses wurde gestaltet von Koibito-san! Viel Spaß beim Lesen!

    .......................................

    Weißt du, immer, wenn ich in den Sternenhimmel mit seinen unzähligen Sternen schaue, überkommt mich ein Gefühl der Ehrfurcht, weil man diesem weiten Firmament quasi in die Vergangenheit guckt, hättest du das erwartet? Das Licht, was wir in diesem Augenblick wahrnehmen, sind Strahlen, die schon vor Jahrmillionen von den Sternen erzeugt worden sind. Vielleicht gibt es die Sterne, die wir jetzt noch als stecknadelgroße Punkte sehen, schon gar nicht mehr.
    Aber mit der Ehrfurcht kommt auch das Gefühl der Einsamkeit. Was ist schon ein kleines Organismus, der auf seinem Staubkorn in den Zahnrädern des Universums durchs Leben quält. Der Mensch existiert nicht mal für einen Wimpernschlag lang, im Vergleich zu den Äonen seit dem Urknall. Und trotzdem kommt einem das Leben manchmal unendlich schwer vor, als hätte es jemand persönlich darauf angelegt, dieses winzige Individuum so gut es geht zu piesacken.

    Kochbuch oder Krimi?
    Diese Frage stellte sich Yamamura mittlerweile zum tausendsten Mal, aber er hatte immer noch keine eindeutige Antwort gefunden. Es war zum Verrücktwerden, er hatte ganz vergessen, nein, eher verdrängt, wie schwer es war, ein gutes Geschenk für die eigene Mutter zu finden. Vor allem, wenn man schon im Vorhinein großspurig versprochen hatte, schon ein wunderbares Präsent gefunden zu haben. Entnervt fuhr er sich durch die etwas verwuschelten Haare und wäre fast in eine mürrisch aussehende Verkäuferin gestolpert, als er einen Schritt zur Seite machte.
    „Könnten sie wohl bitte aus dem Weg gehen, ich müsste mal durch“, sagte die Frau, ein angestrengten Lächeln auf den Lippen, und schob ihren voll beladenen Karren in Richtung der Kinderabteilung, von wo lautes Kindergeschrei zu Yamamura herüberdrang. Er folgte ihrem Weg sehnsüchtig mit den Augen. Ein Kind müsste man sein, so sorgenlos.
    Er seufzte und wandte sich wieder dem Bücherregal zu, das er schon seit gefühlten Stunden anstarrte, ohne irgendein nennenswertes Ergebnis.
    Als plötzlich aus heiterem Himmel klingelt, fuhr er zusammen, als hätte ihm jemand Strom durch den Körper gejagt. Hecktisch kramte er das Gerät aus der Tasche, in seiner Eile hätte er es um ein Haar fallen lassen.
    „Ja, Yamamura hier?“, meldete er sich.
    „Hallo So…emann!“
    „Hallo Mama, schön mal wieder was von dir zu hören, wie geht es dir?“, sagte Yamamura und sein Gesicht verzog sich zu einem freudigen Lächeln, er sah aus wie das sprichwörtliche Honigkuchenpferd. Seine Mutter bedeutete ihm viel, sie war eine der wenigen Personen, die ihm immer und immer wieder Rückhalt gaben, ihn wieder aufbauten.
    „Misao-Schätzchen, i… deine Hil…, seit gester … fällt hier Schnee … unpassierbar sein. Könntest … Herztabletten sind … unbedingt neue. All … otrufleitungen sind beset…, ich k… icht durch…“, tönte es in abgehackten Sätzen aus dem Handy.
    Yamamura runzelte die Stirn. Was wollte seine Mutter von ihm genau?
    „Mama, die Verbindung ist so schlecht, was soll ich machen?“, fragte er und kratzte sich ratlos am Kopf:
    „Du mu … mmen, schnell!“ Dann verabschiedete sich die Leitung endgültig und aus dem Hörer drang nur das eintönige Tuten, das anzeigte, dass der andere Gesprächsteilnehmer aufgelegt hatte.
    Einen Moment noch stand er da, wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Er rief sich nochmal das Gespräch in Erinnerung, strengte all seinen Grips an. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, sein Andrenalinpegel schoss wie ein startendes Space Shuttle in die Höhe. Er raste los als wäre eine Horde Hornissen hinter ihm her.
    „Meine Mutter ist in Not, machen sie Platz, sie braucht meine Hilfe!“ Laut schreiend bahnte er sich seinen Weg durch die gaffende Menschenmenge, die neugierig diesen seltsamen Mann in schlecht sitzendem Anzug und mit Kaffeeflecken auf ebendiesem beobachtete. So einen komischen und vor allem tollpatschigen Vogel sah man schließlich nicht alle Tage.
    Aber Yamamura nahm keinerlei Notiz von den sensationshungrigen Menschen, sein Denken beherrschte nur der Gedanke an seine Mutter, die wahrscheinlich irgendwo da draußen, vom Schneesturm von der Außenwelt abgeschnitten, auf seine Hilfe hoffte. Leider bemerkte er so den Laternenmast nicht, der scheinbar aus dem Nichts auftauchte und Bekanntschaft mit seiner Nase machte. Stöhnend taumelte er zu seinem Auto weiter. Er redete sich ein, dass für Schmerzen auch noch später Zeit genug war, jetzt hatte seine Mutter Vorrang.
    We wish you a merry christmas, we wish you a merry christmas, we wish you a merry christmas and a happy new year.
    Zwei Stunden saß er nun schon im Auto und dieser einzelne Song war schon gefühlte tausend Mal im Radio gespielt worden. Als hätte er jetzt Zeit dafür, sich auf Weihnachten zu freuen. Seine Mutter war in Gefahr, vielleicht einem Herzinfarkt nahe, wer wusste das schon so genau?
    Seine Hände umklammerten das Lenkrad fester und er fixierte wieder die verschneite Straße vor sich, das letzte, was er jetzt brauchen konnte, war, dass er von der Straße abkam und irgendwo im Nirgendwo jämmerlich im Schnee erfror.
    Seine Nase pochte noch ein bisschen, der Schmerz ließ sich aber aushalten.
    Doch die Nase war vergessen, als die Straße abrupt im weißen Nichts endete. Auf der Straße türmte sich ein meterhoher Schneeberg, den wahrscheinlich ein Erdrutsch verursacht hatte. Nur ein kleiner Weg, gerade breit genug für einen Menschen, gewährte noch Durchlass. Laut fluchend brachte Yamamura seinen kleinen Toyota, der ein Geschenk seiner Mutter zur Aufnahme auf die Polizeischule gewesen war, vor der Verwehung zum Stehen.
    „Es hilft wohl nichts, du wirst die letzten drei Kilometer zu Fuß gehen müssen, aber das schaffst du schon, schließlich bist du Polizist!“
    Dass seine eigenen Ermutigungen keinen Sinn machten, da er immer die Fitnessprüfungen der Polizei nur mit Ach und Krach beim vierten Mal bestand, ignorierte er vorsichtshalber und stapfte los, wild entschlossen, seine Mutter zu retten.
    ***
    Ein Schritt und noch ein Schritt. Immer in Bewegung bleiben, nicht anhalten, das wäre tödlich bei der Kälte. Du darfst nicht aufgeben, bald hast du es geschafft.
    Wieder und wieder murmelte Yamamura die Worte, wie eine Beschwörungsformel, um durchzuhalten. Ihm war kalt, seine Füße froren ihm ab und er war erschöpft, wollte sich einfach ein bisschen ausruhen, nur ein paar Minuten um wieder Kraft zu schöpfen. Doch dann rief er sich das Bild seiner Mutter ins Gedächtnis, wie sie tot oder mit starken Schmerzen in ihrem kleinen heimeligen Häuschen lag. Das war genug Motivation und er stapfte verbissen weiter.
    Der Schnee war bereits knietief und verdeckte so auch einen Baumstamm, der auf dem im Sommer beliebten Wanderweg lag, sodass Yamamura, mit gefühllosen Beinen, ihn erst spürte, als er darüber stolperte und unsanft mit der Nase voran im kalten Schnee landete. Warmes Blut schoss aus seiner bereits lädierten Nase und zauberte blutige Muster in den Schnee.
    „Verdammte Scheiße“, entfuhr es ihm. Er hatte sich schon immer unter Kontrolle, aber dieser Kraftausdruck für den ihn seine Mutter mit Sicherheit zusammengestaucht hätte, beschrieb seine derzeitige Situation ziemlich gut. Aber wenn er sich es sich so überlegte, war der Schnee schön gemütlich, nur ein bisschen ausruhen, dann würde es gleich besser sein….
    Er sank in den Schnee, schloss halb die Augen.
    Ein Schritt und noch ein Schritt. Immer in Bewegung bleiben, nicht anhalten, das wäre tödlich bei der Kälte.
    „Ein wenig zu kühl, um jetzt zu schlafen, findest du nicht? Scheints ja nicht sonderlich an deinen Beinen oder Fingern zu hängen, die abfrieren könnten. Oder am Leben, das ist schneller aus einem erstarrten Körper als du „Kältetod“ sagen kannst. Sein Überlebenswille meldete sich lautstark zu Wort und erinnerte ihn daran, wie gefährlich es war, bei solchen Witterungsverhältnissen zu schlafen.
    „Wirklich bequem, der Herr geruht zu schlafen und die Mutter kann sehen, wie sie ohne ihre Herztabletten klar kommen soll“, ergänzte sein schlechtes Gewissen.
    Mühsam richtete er sich wieder auf, klopfte sich mit langsamen Bewegungen den Schnee von der viel zu dünnen Kleidungen und nahm seinen Marsch wieder auf. Er konnte nicht mehr, aber… Nein, er durfte keine Müdigkeit vortäuschen, seine Mutter brauchte seine Hilfe dringender als er ein kleines Nickerchen.
    Sein Gehirn war ihm nicht gerade ein treuer Begleiter auf dieser beschwerlichen Mission. Es gaukelte ihm immer wieder angenehme Plätze zum Ausruhen, warme Oasen der Entspannung vor, die sich als trügerische Fata Morgana aus Eis und Schnee entpuppten.
    Seine Schuhe, aus dem unscheinbaren Schuhgeschäft um die Ecke, waren vom nasskalten Schnee durchweicht, die Kälte kroch unaufhaltsam in seine Glieder, nahm alle Wärme und verschlang sie wie ein ausgehungerter Tiger seine Fleischration. Der einsetzende Schnee erleichterte ihm das Vorwärtskommen nicht gerade, Wind beschoss sein Gesicht mit feinen Eissplittern, die sich wie kleine Nadeln tief in die Haut bohrten.
    Ein Schritt und noch ein Schritt.

    Je näher er dem Haus seiner Mutter kam, desto leichter wurden seine Eisklumpen von Füßen wieder, er hatte es fast geschafft. Es war ein schönes Gebäude, seine Familie wohnte schon seit Jahrzehnten hier in dieser Einöde. Deswegen bedachte ihn seine Mutter auch, wenn immer er sie bat, doch in die Stadt zu ziehen, wo es einfacher war sie im Ernstfall zu unterstützen, mit einem milden Lächeln und sagte: „Das ist schon seit Generationen unser Haus, ich zieh hier nicht weg!“
    Nun, im tiefsten Winter, bot es einen verstörend schönen Anblick. Überall hingen Eiszapfen, deren kalte, tödliche Spitze in der untergehenden Sonne glitzerten. In ihm kamen viele alte Erinnerungen hoch, an längst vergangene unbeschwerte Kindertage, die aber von der bodenlosen Furcht um seine Mutter überschattet wurden. Er schob die Gedanken zur Seite und betrat das Haus.
    „Hallo, Mama? Wo bist du?“
    Keine Antwort. Er ging weiter, durch den aufgeräumten Flur ins Wohnzimmer. Dort sah er sie liegen. Er Anblick ihres leblosen Körpers, der zerbrechlich wie eine Glasfigur auf dem Sofa lag, lähmte ihn. Er stand einfach da und konnte seinen Blick nicht von dieser erschreckenden Szenerie lösen. Doch dann meldete sich der analytische Verstand des Polizisten in ihm, wies ihn an, nach dem Herzschlag zu fühlen. Betäubt überwand er die letzten Meter, die ihn noch vom Körper trennten und suchte mit den Daumen nach einem Funken Leben, dem schwachen Schlagen eines Herzens, das den Lebenssaft durch die Adern pumpt. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung als er ein regelmäßiges Pochen wahrnahm.
    „Jetzt schnell die Herztabletten“, sagte er zu sich selbst, zog das Fläschchen, an das er noch in letzer Sekunde gedacht und besorgt hatte, hervor und schob seiner Mutter drei unscheinbare Tabletten in den Mund. Reflexartig schluckte sie.

    Sehr viel später am Abend, als der Schrecken der vergangenen Stunden durch die wohlige Wärme eines prasselnden Kamins und ein paar Gläser Rotweins fast nur noch wie ein böser Alptraum erschien, der nach dem Erwachen einen bitteren Nachgeschmack hinterließ, starrte Yamamura durch das große Panoramafenster nach draußen in den leuchtenden Sternenhimmel. Seine Augen schimmerten feucht vom Wein und von der Traurigkeit, die ihn mit einem Mal überkam. Misae nahm ihn tröstlich in den Arm und schaukelte ihn sanft vor und zurück. Das hatte sie früher, als Yamamura noch als kleines unschuldiges Kind durch die Welt gestolpert war, immer gemacht, wenn er sich bei einer seiner Entdeckungstouren verletzt hatte und Trost brauchte.
    „Weißt du Mama, manchmal fühl ich mich so unglaublich unnütz, vor allem, wenn ich in die Sterne gucke. Dann muss ich daran denken, dass die Welt nur ein winziger Punkt im unendlichen Kosmos ist und jeder Mensch nur einen Wimpernschlag lebt, ein paar lächerliche Jahre im Vergleich zu den Äonen, die das Weltall schon existiert. Dann frage ich mich, warum ich überhaupt lebe, eine Laune der Natur, der einfach nichts gelingen will. Niemand scheint mich zu benötigen, die Kollegen im Büro lachen bestimmt immer über mich und meine Tollpatschigkeit. Besonders Motoki, der Vorzeigepolizist vom Dienst. Ich habe das so satt, so unendlich satt. Ich habs ja noch nicht mal hinbekommen, ein vernünftiges Geschenk für dich zu finden, obwohl ich schon so groß rumgetönt habe.“
    „Aber Kind, das ist doch Unsinn“, meinte Misae milde lächelnd und fuhr sanft durch seine schwarzen Haare. „Denk doch mal nach, es brauchen dich viele Menschen. Ich zum Beispiel. Du hast dich extra bei dem Schneesturm da draußen durch die unmenschlichen Launen der Natur gekämpft. Oder diese Frau von der du mir erzählt hast. Der hast du auch geholfen, als du ihre Katze gesucht und auch gefunden hast, obwohl das eigentlich nicht deine Aufgabe gewesen ist. Das hätte Motoki bestimmt nicht gemacht. Nicht zu vergessen die unzähligen Leute, die Opfer von Verbrechen geworden sind und die du unterstützt hast, indem du den Täter überführt hast.“
    Auf Yamamuras Gesicht stahl sich ein vorsichtiges Lächeln. Unbewusst fasste er sich an die mittlerweile von seiner Mutter liebevoll versorgte Nase.
    „Da hast du Recht, ich bin anscheinend doch nicht so unnütz.“
  • Du hast Yamamura echt gut getroffen. Vor allem fand ich die Stelle lustig,wo er gegen den Laternenpfahl gelaufen ist. :ocruel:
    Aber auch total spannend gestaltet mit dem Weg zu seiner Mutter.
    Total toll gemacht.Danke :D
    :omojo: Detektiv Conan forever !

    Echte Weisheit besitzt nur der,
    der mehr Träume in seiner Seele hat,
    als die Realität zerstören kann!
    :cyawn:
  • Sehr schöne Geschichte. Vorallem das Ende hat mir gefallen, als Yamamura gesagt bekommt, dass er ein Mensch ist, auf den die Welt nicht verzichten kann und er so mehr Selbstbewusstsein gewinnt. Auch der Weg durch den Schnee mit seiner inneren Stimme, die ihn immer wieder antreibt, ist dir sehr gut gelungen.
    Ruhe und Gelassenheit, dazu noch Sorgfalt. Alles Eigenschaften meines Helden Holmes.

  • Oh wie süß!
    Ein wundervolles Türchen, Yamamura als Hero ist echt eine Leistung. :D
    Und der Schluss war auch sehr schön und stimmt nachdenklich...

    vielen lieben Dank für das tolle Türchen!
    Yamamura, der Held! :D

    Es gibt soviele hier im Forum, bei denen ich mich bedanken müsste.
    DANKE!
    Ihr alle. Ihr wisst, dass ihr gemeint seid.

    Adios, Amigos und solche, die es werden wollten

    Troll over and out.
  • Auch wenn ich kein Yamamura-Fan, finde ich die Geschichte nicht schlecht. Sie zeigt ihn mal von einer anderen Seite, als die die sonst in der Serie dargestellt wird. Aber es ist trotzdem noch Yamamura, wie leibt und lebt...

    Vielen Dank für diese kleine Geschichte.
    Mitglied der berühmt-berüchtigten Akirai-Foundation 8-)


    Vielen lieben Dank Miya