-Grand Final- 24. Türchen

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  • -Grand Final- 24. Türchen

    Hier nun das 24. Türchen. Es enthält eine FF von NightBaroness. Viel Spaß beim Lesen und angenehme Weihnachtstage.

    Rudolf mit der roten Nase…[Weihnachts-FF]
    Einladung vom Rentier-Mann


    Rudolf the red-nosed reindeer had a very shiny nose,
    and if you ever saw him, you would ever say it glows…


    Der melodisch helle Klang der kindlichen Mädchenstimme, drang wie eine feine Brise des wirbelnden Schnees, der sich anschickte die Straßen in reines Weiß zu tauchen und vermutlich ein mittelschweres Verkehrschaos zu verursachen, zu Kogoro Mori herüber, der beide Beine lässig auf dem Tisch verschränkt, an seinem Schreibtisch saß und eine rauchte. Draußen wurde es bereits dunkel, die übertrieben kitschige Weihnachtsdekoration würde vermutlich bald wieder hell erstrahlen und den vom Schnee verwirrten Autofahrern den Rest geben.

    All of the other reindeer, used to laugh and call him names…

    Entnervt spuckte er den noch glühenden Zigarettenstummel in den alten, angeknacksten Aschenbecher und drückte sie aus, bis kleine Rauchschwaden über seinem Schreibtisch tanzten. Er hasste Weihnachten. Was gab es ermüdenderes als die ständig flackernden Lichter und die blinkenden Werbetafeln? Das Herumrennen und die verzweifelte Suche nach Geschenken für Menschen, die nur ein aufgesetztes Lächeln, um ihre Undankbarkeit zu verschleiern dafür übrig hatten? Vom Verkehr ganz zu schweigen…
    „Vielen Dank, dass sie uns mitnehmen.“ Der kleine Junge lächelte ihn freundlich an. Wie war doch gleich sein Name gewesen? Moku…Momo…Mizuhiko.
    „Äh…ja, kein Problem.“ In der Hoffnung nicht mehr belästigt zu werden, griff er nach seiner Zeitung. Er wusste selbst nicht, was ihn geritten hatte, als er zustimmte, die Gören auf die Weihnachtsfeier eines ehemaligen Kollegen mitzunehmen. Der pensionierte Polizist, der so etwas wie ein Mentor für ihn gewesen war, widmete sich groteskerweise der Zucht eines sehr weihnachtlichen Tieres – dem Rentier. Das machte es nicht verwunderlich, dass er jetzt, wo er nichts mehr zu tun hatte, jedes Jahr zu Weihnachten ein riesiges Fest veranstaltete, an dem das einzig erträgliche zweifellos der Glühwein war. Bis jetzt hatte er sich erfolgreich jedes Jahr drücken können, doch dieses Mal hatte ausgerechnet Ran darauf bestanden, dass er teilnahm. Da auch der kleine Nervenzwerg Feuer und Flamme dafür gewesen war, hatte er es irgendwann aufgegeben und strafte den Rest der Welt nun mit trotzigem Schweigen. Dass die anderen Bälger dazugekommen waren, hatte ihm gerade noch gefehlt…
    „Onkelchen, müssen wir nicht langsam los?“ Kogoro schob die Zeitung ein wenig zur Seite und warf Conan einen vielsagenden Blick zu. Gerade wollte er ein genervtes „Verschwinde“ zischen, als seine Tochter Ran in den Türrahmen trat, die Hände in die Hüften stemmte und ihn vorwurfsvoll ansah.
    „Paps, er hat recht.“ Sie kniff die Augen zusammen und musterte ihn missbilligend. Wenn wir rechtzeitig zur Feier da sein wollen, müssen wir jetzt losfahren.“ Hinter ihr lugten die zwei noch fehlenden Kinder, das kleine Mädchen, das gesungen hatte und ein dicklicher Junge mit einer kahlen Stelle am Kopf, ins Zimmer.
    „Oh ja, bitte.“ Das Mädchen klatschte begeistert in die Hände.
    Aber ich will ans Fenster!“, der dicke Junge hetzte nach unten, wo sein Mietwagen stand. Kogoro seufzte, das Mädchen hatte wieder zu singen begonnen.

    They never let poor Rudolf; join in any reindeer games…
    Plätzchen, Glühwein und ein Toter

    „Darf ich vorstellen? Das sind Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner und Blitzen.“ Der alte Mann grinste, als hätte er gerade einen besonders amüsanten Witz gemacht. Kogoro Mori und Conan Edogawa rollten nahezu gleichzeitig mit den Augen. Das durfte doch nicht wahr sein. Kogoro seufzte wieder – Er tat das recht oft in letzter Zeit. Hatte er seine Rentiere tatsächlich nach denen des Weihnachtsmannes benannt? Das kam selbst ihm unkreativ und langweilig vor. Entnervt blickte er auf seine Armbanduhr. Wie lange er sie wohl noch mit seinem Viehzeug quälen würde? Weder der Geruch nach nassem Stroh und altem Heu, noch die viel zu langen Geschichten, die sein Freund zum Besten gab, waren unbedingt ein angenehmer Zeitvertreib.
    „Wie lange willst du noch brauchen, Takeru? Merkst du nicht, dass du unsere Gäste langweilst?“ Eine schöne und überraschend junge Frau betrat den Stall. Ihr langes, schwarzes Haar, war zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden und ihre Kleidung war von jener schlichten Eleganz, die wohlhabende und geschmackvolle Menschen auszeichnete. Im ersten Moment hatte Kogoro sich gefragt, ob sie vielleicht Takerus Tochter sein könnte, doch dieser Gedanke wurde schnell widerlegt, als sie ihm die Hand reichte und ihn höflich anlächelte. „Willkommen, Herr Mori. Mein Mann hat schon viel von Ihnen erzählt, müssen Sie wissen. Ich bin Naoko Fujiwara.“ Nun war es an Takeru zu seufzen. „Naoko, ich dachte, du wolltest im Haus bleiben und helfen das Buffet zu dekorieren? Wir sind hier gleich fertig, ich möchte den Kindern nur noch schnell mein Schmuckstück zeigen.“ Sein Grinsen altes Grinsen kehrte zurück – breiter als zuvor. „Hier ist er, der wunderbare, einzigartige Rudolf“, verkündete er wie ein Zirkusdirektor.
    Ayumi, das kleine Mädchen, quiekte auf und lief mit einem fröhlichen Lachen zu dem hübschen, kastanienbraunen Rentier, das sie sogleich neugierig beschnüffelte.
    „Rudolf, mit der roten Nase.“ Ein wenig enttäuscht betrachtete sie das Tier.
    „Schade, die ist ja genauso schwarz, wie die der anderen.“
    Dennoch nahm sie ein wenig bräunlich grünes Heu vom Boden und gab es Rudolf, der ein paar halbherzige Bissen nahm und dann den Kopf wegdrehte. Das Mädchen wirkte noch geknickter.
    Takeru legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    "Er hat so viel Heu in seiner Box, da mag er es nicht mehr.“ Er lächelte Ayumi aufmunternd an.
    „Später darfst du ihm ein bisschen Obst geben, das liebt er über alles.“ Er deutete auf einen Korb, den Naoko in der Hand hielt. Drinnen lagen ein paar Äpfel und vereinzelte Mandarinen.
    „Stell es hier irgendwo hab, wir wollen sie nachher Rudolf geben, er liebt Äpfel doch so sehr. Außerdem sind das alles erlesene Früchte. Meine Lieblinge verdienen nur das Beste.“ Wieder fröhlich und laut wie eh und je, folgten die Kinder ihm nach draußen, in Richtung des geräumigen Haupthauses, wo nun das Essen gereicht werden sollte. Auch er und seine Tochter verließen den Stall. Seine Stimmung war nun ebenso aufgeheitert wie die der Kinder, immerhin konnte er die stinkenden Tiere hinter sich lassen und endlich von der schönsten Seite des Weihnachtsfests verwöhnt werden, dem Essen. Naoko folgte ihnen in einigem Abstand.
    „Ich bin Makoto Fujiwara, freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Kogoro schüttelte dem unscheinbaren, jungen Mann die Hand. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, dass Takeru einen Bruder erwähnt hätte, aber anscheinend hatte er sehr wohl einen. Vielleicht hatte er es einfach vergessen. Immerhin war es schon eine ganze Weile her, dass er seinen alten Freund das letzte Mal gesehen hatte.
    „Helfen Sie ihrem Bruder bei der Zucht dieser Viecher?“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung Stall und zündete sich dabei eine Zigarette an. Makoto schüttelte etwas verlegen den Kopf. „Nein. Ich habe Angst vor großen Tieren, müssen sie wissen.“ Schüchtern blickte er sich um. „Nun…ähm…das Buffet ist eröffnet.“ Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Hastig stürmte er zum reich gedeckten Tisch und sicherte sich Dominosteine, Rumkugeln, Schoko-Sterne und weitere Leckereien, ebenso, wie eine buntbedruckte Tasse, aus der der Glühwein ein warmes Aroma verströmte. Ran und die Kinder folgten ihm und luden sich auch reichlich auf ihre Teller, allerdings nicht ohne ihm einen leicht pikierten Blick für sein unhöfliches Vordrängeln zuzuwerfen. Er ignorierte es und lachte fröhlich in sich hinein. Vielleicht würde dieser Ausflug doch nicht so schlimm werden, wie gedacht.
    Nachdem er sich seinen dritten Teller aufgeladen hatte, bemerkte er, dass Naoko aufstand und sich anschickte den Raum zu verlassen. Das kleine Mädchen bemerkte es und lief zu ihr. „Wo gehen Sie denn hin? Ich dachte, Sie wollten mir das Aquarium zeigen?“ Die Frau lächelte ein wenig kühl, wie Kogoro auch im Stall schon aufgefallen war. Es schien wohl einfach ihre Art zu sein. Ohne weitere Gedanken zu verschwenden, trank er von seinem Glühwein.
    „Wo bleibt eigentlich ihr Mann?“, fragte Conan, der sich zu Ayumi gesellt hatte.
    „Wollte er nicht nur kurz die Rentiere füttern?“ Naoko nickte und machte ein noch angespannteres Gesicht als vorher. „Hmm…du hast recht. Ich werde wohl besser nach ihm sehen.“ Sie ging nach draußen und drehte sich noch einmal kurz um.
    „Wahrscheinlich redet er einfach wieder mit seinen Lieblingen, das macht er manchmal stundenlang, der schräge Vogel.“ In ihrem herzhaften Lachen lag eine Spur Unehrlichkeit, so wie ein kleines Stück Süßstoff, welches im Kaffee den Zucker dem Gaumen vorgaukeln sollte. Im nächsten Augenblick war sie im seichten Schneegestöber verschwunden.
    Kogoro wandte seinen Blick wieder den anderen Gästen im Saal zu. Außer ihnen waren noch Takerus Schwester, die sich als Mayumi Tanaka vorgestellt hatte und die meiste Zeit in der Küche war, ihre Familie, die Familie des Bruders und ein paar enge Freunde anwesend.
    „Wo steckt eigentlich dieser Makoto?“ Ran blickte sich suchend um.
    „Komisch, ich habe ihn seit vorhin gar nicht mehr gesehen. Das ist schon seltsam, dass alle Gastgeber sich plötzlich in Luft auflösen.“ Er zuckte mit den Schultern. Was kümmerte ihn der Bruder seines Freundes? Auf einmal ertönte ein Schrei.
    „Zu Hilfe! Schnell, ein Notarzt!“, die am ganzen Leib zitternde Naoko rannte in den geräumigen Empfangsaal. Tränen besprenkelten ihre Wangen mit Wimperntusche und ließen sie wie einen blutbefleckten Geist aussehen, so blass, wie sie war. Kogoro sprang sofort auf und auch Conan rannte auf die junge Frau zu.
    „Was ist denn passiert?“
    „M-mein Man…“, schluchzte sie.
    „Was ist denn mit ihrem Mann? Was ist mit Takeru?“ Kogoro merkte, wie ihn eine böse Vorahnung packte, die langsam Gestalt annahm und sich erbarmungslos in sein Gehirn fraß. „Er…er hatte einen Unfall.“

    Unfall oder Mord?

    „Nun, wer ist denn der Tote?“ Inspektor Yamamura beugte sich skeptisch über den Leichnam. Takeru lag dort, in vollkommen verkrümmter Körperhaltung, gezeichnet von den Schmerzen, die ihn wie dunkle, bedrohliche Schatten im Todeskampf überwältigt und zu Boden geworfen hatten.
    „Lieber Himmel.“ Der Inspektor starrte erschrocken auf den blutverquollenen Bauch, der aussah, als wäre er halb zerfetzt worden. Ran gab hinter ihm ein würgendes Geräusch von sich.
    „Was ist denn mit ihm passiert?“ Naoko zitterte immer noch. Makoto hatte schützend einen Arm um sie gelegt und streichelte fast zärtlich ihre Arme. Alles wird wieder gut…
    „E-er, hatte einen Unfall…“ Brüchig und mit tränenerstickter Stimme begann sie zögerlich zu sprechen. Immer wieder unterbrach sie sich durch ihr eigenes Schluchzen. Makoto flüsterte etwas in ihr Ohr. Anscheinend versuchte er, ihr gut zuzureden.
    „Er wollte noch einmal nach den Rentieren sehen, er liebte sie so…wie Kinder.“ Ihre Stimme versagte.
    „Aber, er war nicht im Stall. Ich wollte nach ihm sehen, aber…“ Ein ersticktes Wimmern. „…Rudolf war fort und ich dachte, die beiden machen einen ihrer Spaziergänge – Rudolf war sein ganzer Stolz – aber, er ist tot…er hat ihn angegriffen. Er…“
    „Wer?“ Kogoro musterte sie irritiert. „Das Rentier?“ Ungläubig betrachtete er die blutige Leiche. Konnte das, was seinen Freund aufgerissen und so schmerzlich dem Tod überlassen hatte, das Geweih eines Rentieres gewesen sein?
    „Na wenn das so ist.“ Yamamura klatschte in die Hände. „Dann sind wir hier wohl fertig. Es kann sich unmöglich um einen Mord handeln! Vermutlich ist das Rentier erschreckt worden oder etwas in der Art und hat ihn angegriffen. Tragisch, wirklich tragisch…“ Er wandte sich zum Gehen. Kogoro wollte ihm folgen, warf seinem Mentor, seinem alten Freund und Kollegen, noch einen Abschiedsblick zu. Er stockte. Conan stand direkt vor der Leiche und betrachtete sie mit dem Blick, den er bei Tatorten öfters zur Schau stellte. Eine Mischung aus Skepsis, Neugierde und Entschlossenheit. Blickte er nicht immer so drein, wenn er einem Fall nicht traute? Fast kam es ihm so vor, als würde er an Yamamuras Worten zweifeln. Und wenn es kein Unfall war?
    „Die Wunden stammen mit ziemlicher Sicherheit von einem Rentiergeweih. Ob es tatsächlich Rudolf war, können wir nicht sagen, da wir ihn immer noch nicht gefunden haben.“ Sie saßen nun zusammen mit dem Inspektor im geräumigen Wohnzimmer der Fujiwaras und konnten selbst nicht sagen, was sie noch dort hielt. Kogoro sehnte sich danach, nach Hause zu fahren und alles zu verdrängen. Vielleicht ein Bier zu trinken, eine zu rauchen…Aber er konnte nicht. Ein schummriges Etwas hielt ihn hier wie eine kalte Hand im Nacken und ließ nicht zu, dass er ging. Takeru…
    Hätte Rudolf ihn wirklich angegriffen? Sein Lieblingsrentier, das er groß gezogen hatte, wie er erzählte, sein bester Freund? Sein Blick schweifte im Raum umher, fast so, als suche er eine Antwort, versteckt in der edlen Täfelung oder hübsch drapiert wie das Obst auf dem Mahagoni-Tisch. Die Kinder saßen mit betretenen Gesichtern neben Naoko, die sich einigermaßen beruhigt hatte und sich vom überaus fürsorglichen Makoto über den Rücken streichen ließ, der auf sie einredete. Die Polizisten saßen unweit vom ihm am großen Esstisch beisammen und redeten mit einem Sanitäter. Aus dem Radio drang leise eine sanfte, schrecklich unpassende Melodie, wie der grausame Klang einer verstimmten Geige…
    Rudolf the red-nosed reindeer had a very shiny nose…
    Kogoro stand auf und ging unter dem Vorwand eine Zigarette rauchen zu wollen, nach draußen. Er wusste selbst nicht, was ihn dazu trieb. Vielleicht verlangte die Trauer um Takeru von ihm, nach draußen zu gehen, oder aber eine Art göttliche Eingebung, denn direkt vor ihm, unweit vom Anwesen, stand Rudolf. Das Rentier wirkte verschreckt und ängstlich, stakste unbeholfen im Schnee herum und wackelte sonderbar mit dem Kopf, als wolle es etwas abschütteln.
    „Irgendwas stimmt nicht mit ihm.“ Conan war unbemerkt hinter ihn getreten.
    „Sieh nur, Onkelchen, er kann kaum aufrecht stehen.“ Mit quälend langsamer Vorsicht bewegte Conan sich auf das Tier zu, das bedrohlich das Geweih senkte und ein Stück zurückwich, nur, um erneut auf den glatten Eiskristallen unter ihm auszurutschen.
    „Seine Augen sind ganz glasig, so, wie bei dir, wenn du zu viel Bier getrunken hast.“ Kogoro erstarrte und sah ihn an.
    „Bier?“ Rudolf gab ein merkwürdiges Geräusch von sich, das wie ein glucksendes Lachen klang. Konnte es möglich sein, dass das Tier betrunken war? Aber, das würde ja bedeuten, dass…
    „Conan! Lauf zum Stall und schau, ob du den Futterkorb findest!“ Conan spurtete los und Kogoro folgte ihm in einigem Abstand. In seinem Kopf rauchte es. Konnte es möglich sein…? Aber wer hatte es getan? Gab es einen Grund? Ein Motiv?
    „Der Korb ist leer.“ Conan hielt ihn sich an die Nasenspitze und schnupperte.
    „Aber er riecht komisch.“ Kogoro seufzte. Dann lag er also richtig?
    „Das war kein Unfall…“ Als hätte er seine Gedanken erraten. Ihre Blicke trafen sich…
    „Es war Mord.“

    Naokos Lächeln

    „Warten Sie, Inspektor.“ Yamamura drehte sich überrascht um.
    „Nanu? Was gibt es Herr Mori?“
    „Es war kein Unfall, sondern Mord.“ Kogoros Stimme, schnitt scharf geschliffen wie die Eiszapfen, die vom Hausdach baumelten, durch den Raum. Alle sahen ihn an, in ihren Gesichtern Schock, Unglaube, Zweifel, Angst und Trauer, Gefühle, die jeden heimsuchten, zwickten und zwackten wie kleine Kobolde, der das erste Mal ein Mordopfer zu Gesicht bekam. Solche Gefühle ließen einen oft niemals mehr los. In ihrer Intensität und Grausamkeit kannten sie keine Gnade, nichts war so schlimm, wie einen geliebten Menschen sterben zu sehen. Sinnlos. Yamamura schluckte.
    „T-tatsächlich? Inwiefern?“ Gespannt wartete er auf seine Schlussfolgerungen. Kogoro räusperte sich.
    „Takeru wurde vor etwa einer Stunde blutüberströmt mit mehreren Wunden im Bauchbereich tot im Schnee aufgefunden. Von seinem Rentier Rudolf fehlte jede Spur, weshalb man vermutete, dass er ihn angegriffen hatte und dann weggelaufen war. Jedoch, war Rudolf sein bester Freund. Ein Rentier, dass er selbst großgezogen hatte und das ihn niemals angegriffen hätte, es sei denn…“ Er ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. „…jemand bringt ihn dazu.“ Makoto starrte ihn verblüfft an.
    „Sie wollen mir weismachen, dass jemand Rudolf überredet hat, meinen Bruder zu töten? Wie hirnverbrannt sind sie eigentlich?“ Kogoro schüttelte den Kopf.
    „Nicht überredet. Sagen Sie, kennen sie das Lied Rudolf, the red-nosed reindeer?“ Der Blick der Versammelten wurde noch skeptischer. Makoto schnaubte.
    „Wissen Sie, worauf mich das gebracht hat? Ein Mensch bekommt eine rote Nase, wenn er verschnupft ist, wenn er friert oder aber, wenn er betrunken ist.“ Er lächelte wissend.
    „Auch Tieren kann das passieren.“ Er baute eine wirkungsvolle Pause ein, schloss kurz die Augen, senkte den Blick und öffnete sie dann, um alle im Raum sitzenden Verdächtigen mit der vollen Wirkung seiner siegesgewissen, stechenden Augen zu bedenken.
    „Jemand hat dafür gesorgt, dass Rudolf betrunken wird, weil er wusste, dass Tiere, denen Alkohol verabreicht wird, zu gesteigerter Aggressivität neigen.“ Naoko musterte ihn entsetzt. „Aber wie soll das derjenige angestellt haben? Ich will ihnen nicht zu nahe treten, aber es war immer jemand von uns im Stall und es wäre doch sicher aufgefallen, wenn man den Rentieren Glühwein gegeben hätte.“ Er lächelte spöttisch. „Nein, kein Glühwein, Verehrteste. Der Täter hat sich einem viel einfacheren Mittel bedient. Vergorenes Obst.“ Naoko zuckte zusammen.
    „Nicht wahr, Frau Naoko Fujiwara? Sie haben Rudolf doch extra sein geliebtes Obst gebracht und sind im Stall zurückgeblieben, um ihn zu füttern.“ Naoko sprang auf und starrte ihn ungläubig an.
    „Sind Sie verrückt? Wie können Sie das behaupten?“ Auch Makoto erhob sich und kam bedrohlich auf ihn zu.
    „Genau. Ich war schließlich auch draußen und hätte es tun können. Lassen Sie sie zufrieden, sie ist keine Mörderin!“
    „Nein. Denn sie waren doch die ganze Zeit mit ihr zusammen, oder nicht? Naoko hat sich, als sie das Haus das zweite Mal verlassen hat, mit Ihnen getroffen. Mal abgesehen davon, haben sie selbst gesagt, dass sie sich vor großen Tieren fürchten. Sie hätten das Rentier also wohl kaum gefüttert.“
    „Warum hätte sie das bitte tun sollen?“ Die beiden stierten sich an, wie zwei Kampfhähne. Kogoro zog die Augenbrauen zusammen und musterte ihn kalt.
    „Nun, immerhin seid ihr ein Paar.“ Makoto starrte ihn wie vom Donner gerührt an.
    „W-woher?“ Auf einmal wirkte er ganz kleinlaut. Auch Naoko sank betreten aufs Sofa zurück und schwieg.
    „Ihr hattet eine Affäre, nicht wahr? Das ist auch der Grund, warum du sie deckst, du wusstest davon. Vermutlich, warst du vorhin noch im Stall und hast sie auf frischer Tat ertappt. Anschließend wolltest du ihr anbieten, dich mit ihr zu treffen, um ihr im Notfall ein Alibi zu verschaffen. Dummerweise habe ich ihren Trick durchschaut, sodass du es nicht mehr einwerfen konntest. So war es doch?“
    „Nein, Sie lügen!“
    „Hör auf, Makoto.“ Naoko war aufgestanden.
    „Merkst du nicht, dass es zu spät ist? Alles, was wir jetzt noch sagen, wird uns noch mehr zerstören.“ Makoto trat einen Schritt zurück und sah seine Geliebte ungläubig an. „Aber…“
    „Ich habe Takeru geliebt. Trotz des Altersunterschieds. Er war ein wundervoller Mann, so mutig, so ehrenhaft, wie einer dieser Ritter aus den alten Märchen. Und ich seine Prinzessin, sein Augenstern. Aber…“ Ihr Gesicht verdüsterte sich. „Das änderte sich mit den Rentieren. Anfangs war es nett. Wir zogen sie gemeinsam auf, hatten Spaß, lachten viel und waren glücklich mit unserer kleinen Familie. Mit der Zeit wurde er aber regelrecht besessen. Er kaufte alles für seine Lieblinge, machte Schulden und wendete sich mehr und mehr von mir ab.“ Ein trauriges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Ein Lächeln so schmerzerfüllt, so leer und voller Selbsthass, Abscheu und trauriger Offenbarung. Der seelenvolle Schrei des Ertrinkenden getarnt unter einer puppenhaften Maske. Er war sich nicht sicher, aber ein Mensch, der gerade in seinem Innersten zerbrach, musste so aussehen. Genau so, wie die lächelnde Naoko.
    „Die Rentiere haben mir alles weggenommen. Deshalb…“ Eine Träne kullerte über ihre Wange.
    „Deshalb wollte ich, dass Rudolf ihn angreift. Ich wollte zeigen, dass die Rentiere gefährlich für ihn sind, dass sie eine Sucht sind, ein Fluch, der ihn kaputt macht und mehr und mehr von allem entfernt, dass ihm einst so wichtig war.“ Ihre Stimme war nur noch ein raues Flüstern.
    „Ich wollte nicht, dass er stirbt. Ehrlich nicht.“
    „Die arme Naoko.“ Die Kinder saßen geknickt hinten im Auto und blickten betreten auf ihre Hände.
    „Sie wollte ihm nur eine Lektion erteilen und jetzt ist er tot.“
    „Es ist Heiligabend.“ Ran blickte auf die kleine Digitaluhr vorne im Auto. 0 Uhr blinkte auf der Anzeige.
    „Frohe Weihnachten, Paps.“ Rans Stimme war kaum mehr ein Flüstern. Behutsam streichelte Kogoro ihr über die Haare und lächelte.
    „Naoko empfindet tiefste Reue. Sie ist keine Mörderin, lediglich eine junge Frau, die einen Fehler gemacht hat. Nichts auf der Welt bringt Takeru zurück und ich hasse sie dafür, dass sie ihn grundlos sterben ließ, aber Weihnachten ist nicht nur das Feste der Liebe, sondern auch das Fest des Verzeihens.“ Ran blickte ihn an. Er lächelte wehmütig.
    „Meinst du, Takeru würde Naoko verzeihen, wenn er noch leben würde?“ Sein Blick glitt wieder auf die leere Straße vor ihm.
    „Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es für sie.“

    „Meinst du, sie hat ihn wirklich geliebt?“ Kogoro nickte. Naoko hatte einen Fehler gemacht. Sie hatte dumm gehandelt, naiv und trotzig wie ein Einzelkind, dass plötzlich ein Geschwisterchen bekommen sollte. Aber sie war kein schlechter Mensch und sie hatte Takeru geliebt, so, wie er sie. Da war er sich sicher. Auch, wenn die beiden niemals im Leben mehr ihr Glück finden würden, so hatte Naoko doch zumindest noch eine Chance, etwas daraus zu lernen. So unglaublich der Gedanke manchmal scheinen mag, so unmöglich, verwegen, unmenschlich. Das Leben ging weiter. Trotz dieses Mordes würde es Geschenke geben, lachende Gesichter, Plätzchen und Tee, Glühwein und Gutenachtgeschichten. Das war der Preis des Lebens. Es ging immer weiter und es gab keine Möglichkeit anzuhalten und zu verschnaufen. Lediglich rausspringen konnte man, aus dem Zug, allerdings erreichte man so nie die Haltestelle, die das Leben lebenswert machte.
    „Ihr Lächeln. In ihrem Lächeln habe ich es gesehen. Deshalb bin ich mir sicher.“ Er nahm ihre Hand und drückte sie sanft.

    „Frohe Weihnachten, mein Schatz.“
    ~In varietate concordia~